Motorpsycho ist alles

■ Sie möchten gern, daß man bei ihren Konzerten sitzt und am Ende klatscht: Die norwegische Rockband Motorpsycho spielt am Dienstag in Bremen

Was ist das? Eine Band, die es sich frecherdings herausnimmt, zehnminütige Psychedelika in einer Welt zu rehabilitieren, die gerade glaubte, so etwas wirklich nicht mehr zu brauchen? Eine Band, die sich mehr und mehr zu einer in ganz klassischen Formaten aufspielenden Band entwickelt und damit davonkommt? Das und mehr, beispielsweise Europas beste Rockband, sind Motorpsycho. Unermüdlich schichten sie Mellotrone und Sitars auf Lebemanngitarren, legen schimmernde Melodien darüber und nehmen sich viel Zeit, lange Bögen zu spannen und satt summende Abfahrten zu veranstalten. Led Zeppelin haben sie genauso gefressen wie Dinosaur jr., auch wenn sie lieber Entfernteres als Einflüsse angeben, wie Sun Ra Arkestra und John Coltrane. Mit ihren jährlich erscheinenden Alben und leibhaftigen Erscheinungen scharen sie stetig mehr und mehr Begeisterte um sich. Der große Konsens. Die Bewahrer von allem, was gut und richtig an Rock ist und war. Zum Auftakt ihrer derzeitigen Tour durch die Republik sprachen wir in Hannover mit dem Bassisten, Sänger und Hauptsongwriter Bent Saether ganz exklusiv über nicht-existente vierte Bandmitglieder, psychedelische Zustände und Doppel-Live-Alben.

Wir vertraten die Meinung, daß es den drei Herren aus dem verschlafenen Trondheim erstaunlich lückenlos gelingt, das doch recht facettenreiche Klangbild gerade des letzten Motorpsycho-Albums auf der Bühne mit drei Personen umzusetzen.

Dazu Motopsycho: „Technologie ist eine gute Sache. Und wir arbeiten daran, ein viertes Mitglied zu ersetzen. Ich spiele Samples mit meinen Füßen, unser Schlagzeuger spielt Keyboards, und wir haben die Basspedale, also ist praktisch ein vierter Typ da oben...“

Ein vierter Typ, der möglicherweise in den Beinen der Band sitzt.

„Ja, genau.“

Trotz aller Technologie lassen sich Motorpsycho viel Raum für spontane Entscheidungen.

„Wir versuchen, so viele Songs wie möglich draufzuhaben, denn dann können wir auswählen. Je mehr Songs du kennst, bevor du losfährst, desto besser werden die Konzerte. Manche Songs sind besser zum Improvisieren geeignet als andere, und von denen versuchen wir, so viele wie möglich zu spielen, denn das tun wir am liebsten.“

Deshalb enthalten die Kompositionen auch gewissermaßen ab Werk Sollbruchstellen.

„Wenn wir einen Song fertighaben, denken wir darüber nach, wie es wäre, ihn zweihundertmal zu spielen. In den letzten Jahren haben wir in jeden Song eine oder zwei Stellen eingebaut, an denen wir anfangen können, zu improvisieren.“

Abwegig wäre es übrigens zu vermuten, die traumwandlerisch sicheren Improvisationsausflüge im Hause Motorpsycho entstünden beispielsweise unter einem exzessivem Einfluß körperfremder Substanzen.

„Wenn du psychedelische Musik machen willst, mußt du wissen, was ein psychedelischer Geisteszustand ist. Du mußt wissen, welche Erfahrung du mit deiner Musik in Verbindung bringen willst. Aber um das zu tun, muss ich total nüchtern sein. Vielleicht zwei oder drei Bier bevor ich auf die Bühne gehe, aber ich muß sehr fokussiert sein, um psychedelische Erfahrungen übersetzen zu können. Wie Ken Kesey sagte: Wenn du die Pforten der Wahrnehmung einmal geöffnet hast, mußt du sie nicht immer wieder öffnen, um zu wissen, was es damit auf sich hat.“

Dieses Wissen effektiv zu reproduzieren, gelingt ihnen offenbar zunehmend. Wo früher ihr Publikum Bier trank und mitsang, wird heute innig gelauscht.

„Was ich schön finde ist, daß die Leute selbst in den ruhigen Momenten still sind. Es macht so viel mehr Spaß, zu spielen. Es mag ja ein etwas altmodischer Gedanke sein, daß die Leute in einem Konzert sitzen und nach den Stücken klatschen, oder nach einem Solo. Wir kriegen das jetzt. Das ist witzig.“

Tja, altmodisch ... Motorpsycho klingen danach, als müßte es von ihnen mal ein Live-Doppelalbum geben.

„Darüber machen wir seit dem ersten Tag Witze. Ich habe den Ehrgeiz, eines Tages nach Japan zu gehen, und das 'Live at Budokan'-Doppelalbum zu machen. Es ist noch nicht passiert, aber es wird vielleicht geschehen.“

Motorpsycho haben aber auch noch eine andere Seite. Zwischen den Alben veröffentlichen sie kleinere Formate voller skurriler Spielereien oder auch mal eine Filmmusik in ländlich amerikanischer Stilistik.

„Alles war wir tun, ist Motorpsycho. Motorpsycho ist, was wir entscheiden, das es ist. Wenn wir ein skandinavisches Folk-Album machen wollen, dann machen wir es als Motorpycho. Wir verspüren nicht den Drang, es anders zu nennen. Es kann alles Motorpsycho sein.“ Andreas Schnell

Motorpsycho und Tuesday Weld spielen am Dienstag den 26. Mai ab 20 Uhr im Schlachthof, in der Kesselhalle.