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An den Zapfsäulen des Wohlstands

Lady Di leidet hinter Klarsichtfolie: Das Museum Ludwig zeigt mit „Rolex ect., Freundlichs ,Aufstieg‘ und Skulptur-Sortier-Dokumentation“ eine Installation von Thomas Hirschhorn, der in seinen Arbeiten Recycling mit Wunschbildern aus den Medien betreibt  ■ Von Petra Löffler

Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn war von einer dreiköpfigen Jury mit Jochen Poetter, dem neuen Direktor des Kölner Museums Ludwig, an der Spitze zum ersten Preisträger des frisch ausgelobten „Internationalen Köln-Preises für Bildende Kunst“ gekürt worden. Das Preisgeld von 50.000 Mark winkte, die Ausstellung mit Museumsankauf war längst geplant, als sich bei Vertragsabschluß zwischen der Mäzenin, der Spirituosenfabrikantin Heidi Eckes-Chantré, und den Juroren Zwistigkeiten einstellten.

Die großzügige Geldgeberin wollte nicht nur den Preis nach sich benannt haben, sondern forderte auch ein Vetorecht bei der Auswahl der Künstler ein. Poetter und Co. verzichteten da lieber. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen erscheint diese Entscheidung unzeitgemäß, so wie sich Poetter denn auch die für den Herbst geplante Übersichtsschau aktueller New Yorker Kunst von der Philip Morris Stiftung finanzieren läßt. Sein Eigensinn verdient daher Anerkennung, auch wenn nun die Stadt Köln einspringen und die Kosten für die Ausstellung – immerhin gut 150.000 Mark – tragen muß.

Daß sich der 40jährige Hirschhorn ausgerechnet im „Heldensaal“ des Museums Ludwig mit dem Thema „Wechselfälle der Kunst-Geschichte“ auseinandersetzt, ist mehr als ein Zufall. Die Installation „Rolex ect., Freundlichs ,Aufstieg‘ und Skulptur-Sortier-Station“ bietet dazu genügend Verweise an. Mit goldglänzender Alufolie überzogene Papp- pokale hat Hirschhorn vor ebenso gerahmte Kunstreproduktionen gestellt – Matisse, Gauguin, van Gogh, zum biederen Wohnzimmerschmuck degradiert. Auf simpel gezimmerten Stellwänden mit Neonbeleuchtung ist ein Sammelsurium aus Zeitungsausschnitten, Illustriertenfotos und Reklameanzeigen ausgebreitet. Die verwerteten Materialien sind einfach an die Wand gepinnt oder in Klarsichtfolie verpackt und auf Tischen ausgelegt.

Unter den Folienzelten tropfen farbige Riesentränen aus Illustriertenaugen, paradieren Bakterienkolonien aus Kugelschreiberschlieren. Aus Alufolie geformte Wülste vernetzen die Sammelstücke untereinander; unter den Tischen bilden sie ein polypenartiges Geschlinge. Modell für diese trashige „Riesenbastelei“ stand Hirschhorns „Skulptur-Sortier- Station“, die 1997 für die Skulpturenschau in Münster entstand und hier nochmals dokumentiert wird.

Um- und Verwertung ist das integrale Prinzip dieses Hirschhornschen Recycling-Organismus. Die Alu-Ganglien verbinden in schlichter Wandzeitungsästhetik Terrorismus und Körperkult, Exekutionsmethoden und „Schöner Wohnen“, Vulkanausbrüche und Bonsaitechniken zu einem universalen Wurzelwerk. Hirschhorn gräbt kollektive Alpträume und Wunschbilder aus und läßt sie erneut zirkulieren – Lady-Di-Hysterie und Formel-1-Begeisterung, das paßt auch in Hirschhorns Archäologie des Alltags zusammen. Der Verwertungskreislauf ist mit Riesenmodellen von Rolex-Uhren verbunden, die wie Zapfsäulen des Wohlstands an den Wänden des „Heldensaals“ angebracht sind.

Die Zeitmesser sind die Generatoren in Hirschhorns Wiederaufbereitungsanlage für Kulturmüll – Zeit wird verderblicher Luxus, wenn es um den entscheidenden Moment im Up and Down der Geschichte geht. Otto Freundlichs Skulptur „Aufstieg“ von 1925 ist denn auch die zentrale Referenz der raumgreifenden Installation und eine Hommage an den als „entartet“ verfemten und im KZ umgekommenen Künstler. Die Ambivalenz des Aufstiegs zumal in die Höheregionen des Erfolgs verraten weniger die Fotos von Oscar-Preisträgern und Fußballchampions als die Reportagen über Gipfelstürmer im Himalaya. Vom Erlebnis „close to the edge“ bis zum Absturz ins Leere liegt mitunter nur ein Sekundenschritt. Die Recycling-Ökonomie der Präsentation kann sich auf die Zeit und den Zufall verlassen: Für die Kompostierung des Abfalls ist gesorgt.

Ökonomie interessiere ihn, bekennt Hirschhorn, weil sie im Unterschied zur langweiligen Ökologie aktiv und grenzenlos sei. „Wer einen Joghurtbecher säubert, sammelt und zur Sammelstelle trägt, hat keine Energie mehr, gegen Ungerechtigkeit, Rassismus, aufkeimenden Faschismus zu kämpfen.“ Als unbequemer Nonkonformist konnte er im bigotten Kunstpreis- Gerangel mit seinen Secondhand- Environments nur mißfallen. Bisher standen seine Installationen oft an „Nicht-Orten“ wie in der Nähe von Sammelcontainern, in Häusernischen oder neben Souvenirbuden – künstliche Oasen inmitten trister Umgebungen. Im Museum sieht die Präsentation eher wie ein fälschlich verpflanztes Organ aus: traumverloren inmitten all der musealen Herrlichkeit – und aufregend unökonomisch.

Thomas Hirschhorn: „Rolex ect., Freundlichs ,Aufstieg‘ und Skulptur-Sortier-Station“. Bis zum 7. Juni im „Heldensaal“ des Museums Ludwig, Köln

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