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Verführerische Schönheiten ausgeschlossen?

■ Vier Meisterwerke preisgekrönten iranischen Filmemachers M. Machmalbaf im Kino 46

Ein Teppich. Schade, er fliegt nicht. Doch er schwebt immerhin. Zwar nicht im Himmel, aber im Fluß – über Kieselgeröll. Die eingewebte Frauenfigur schlängelt sich unter dem Diktat der Wellen. Ihre Kontur ist im Fließen, verdeutlicht sich, zerrinnt. Schon die ersten Bilder von Mohsen Machmalbafs Spielfilm „Gabbeh“ lehren uns eine symbolisch-allegorische Wahrnehmung. Verführerische Äpfel, ziehende Wolken, schwarze Wollknäuel und wirre, bunte Wollberge: diese Welt ist voller Zeichen – aber ohne Wunder.

Auch die junge Gabbeh, sie ist nicht aus Garn, sondern aus Fleisch und Blut, windet sich; sie allerding tut es unter dem Druck patriarchaler Strukturen. Ihre Geschichte hat der iranische Starregisseur aus der Motivwelt der Gabbah-Teppiche, jener bunten, legendenspinnenden, unornamentalen Webteppiche der Nomadenstämme im Südosten des Irans, herausgedröselt. Spricht man eigentlich auch im Irak vom „Geschichtenspinnen“? Eigentlich plante der Filmemacher nämlich einen ethnologisch angehauchten Dokumentarfilm über das (mit seinem Volk) vom Aussterben bedrohte Kunsthandwerk des Teppichwebens. Doch der exotische Zauber jener offenbar auch für Machmalbaf fremdartigen Kultur inspirierte ihn zu einem Spielfilm. Die ungewöhnliche Entstehung schlägt sich nieder in einer ungewöhnlichen, offenen Form jenseits des linearen Erzählkinos. Aber davon später.

Allein schon die geduldigen, schwenklosen Bilder von windgebeuteltem Gras, Geröllbergen, Palmenoasen und Flußlandschaften machen den Film sehenswert. Und dann die Farben. Naturtöne mischen sich seltsam mit den leuchtenden Farben der Nomandenkleidung: Türkisfarbene Tücher mit spiegelnden Goldplättchen vor schneeweißer Hügellandschaft; Pink, Orange und Dunkelrot vor lilagetöntem Berg: Gewagte Kombinationen, von denen Andy Warhol noch was hätte lernen können.

Mutig ist allerdings auch die Verbindung eines denkbar einfachen, denkbar unspektakulären Stoffs mit hochelaborierter Filmsprache. Ein altes, desillusioniertes Paar erzählt von der eigenen Jugend, genauer, von den Schwierigkeiten des Zusammenkommens. Währenddessen tritt es einen Gabbah-Teppich in einem Fluß mit den Füßen sauber. Und es ist, als würde die Vergangenheit aus dem Teppich regelrecht herausgewaschen. Vergangenheit und Gegenwart treffen sich in ein und demselben Raum. Erst zeigen die Alten nur auf ihre jüngeren Alteregos in weiter Ferne, dann treffen die beiden Zeitebenen aufeinander und unterhalten sich, fast so wie in Hollywoods „Back to the future“ – nur eben ohne Technikhokuspokus. Die alte und ihr jüngeres Ebenbild erzählen sich von dem bösen Vater, der seiner Tochter die Heirat mit einem geliebten Fremden verbietet. So sieht man zwei Verliebte durchs Jahr ziehen, immer in Sichtkontakt, fast so wie Cowboy und spähender Indianer in einem Western; kennen lernen und berühren dürfen sie sich aber nicht.

Zum Thema Berührung sagt die Broschüre „Filme aus dem Iran“ von 1991 übrigens Folgendes: Von iranischen Filmen wurde erwartet, daß „Schauspieler und Schauspielerinnen keinen körperlichen Kontakt pflegen. Eine einfache Berührung mit der Hand ist im Falle eines Schauspielers und einer Schauspielerin, die verheiratet sind, allerdings zulässig.“ Um die Drehbuchgenehmigung zu bekommen und die Endabnahme zu passieren, galt es, zumindest bis 1991, „zuviel Nahaufnahmen von jungen und hübschen Schauspielerinnen“ zu vermeiden. „Auch Frauen von außergewöhnlicher und verführerischer Schönheit sind vom Beruf der Schauspielerin ausgeschlossen. Frauenkleider sollten nach Möglichkeit dunkle Farben haben.“ Eine Off-Stimme in Machmalbafs Film aber sagt: „Das Leben ist Farbe, die Frau ist Farbe.“ Vielleicht ist denn auch die Nomadenwelt mit ihren wunderschönen Frauengesichtern (natürlich in Nahaufnahme) und ihren bunten Stoffen für Machmalbaf eine Möglichkeit, fundamentalistische Genzen zu umgehen. Wie es heute um die Zensur steht, kann Karl Heinz Schmidt vom Kino 46 aber nicht sagen. Zwar wird die poetisch aufgeladene, geduldige Filmsprache des Irans bei allen großen europäischen Festivals geschätzt und prämiert, doch von den Produktionsbedingungen weiß man im Westen wenig. Klar ist immerhin, daß Filme von Machmalbaf ebenso mit einem Verbot rechnen können wie mit einem Filmpreis auf dem Festival von Teheran. 15.000 Menschen wollten einen anderen Film des Regisseurs – er handelte von einer Dreiecksbeziehung (eine Frau zwischen zwei Männern!) – auf dem Festival von Teheran sehen. Da gelingt einem der Spagat zwischen Tabubruch und staatlicher Akzeptanz.

Auch wenn man viele ästhetische und inhaltliche Signale nicht sicher einordnen kann, ahnt man doch viel vom kulturellen Klima im Iran. Eine Geburt zum Beispiel wird natürlich nicht mit westlicher Kopf-raus-und-durch-Drastik gezeigt. Mit einem komplexen Netz von Verweisen, einer eilegenden Henne, einem kalbenden Lamm etc. kommt der Regisseur der Sache aber näher als mit schalem Realismus. bk

„Gabbeh“ läuft vom 28.-30.5. um 20.30, 31.5. - 2.6. 18.30h. „Brot und Blumentopf“, „Zeit für Liebe“ (die Dreiecksgeschichte!) und „Salam Cinema“, ein Film über ganz normale Menschen, die nichts lieber täten als Schauspieler werden, laufen in den Wochen darauf.

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