■ Quo vadis, Politik? Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen könnte Schule machen: Gute alte Tante RAU
Bleibt alles anders: 1900 heißt bald 2000, richtiges Geld weicht Multikulti-Peseten, und nach bewegter Geschichte häutet sich nun auch die SPD. „An den drei Buchstaben halten wir fest“, so Wolfgang Clement, „wir nehmen nur einfach andere.“ Der Schalk blitzt in den Augen des neuen NRW-Paten, eine Kippe hüpft lustig in seinem Mundwinkel, wie immer raucht er sie in einem Zug bis zur Filterperforation – vielleicht die einzige Schwäche des gewitzten Seiteneinsteigers. Kalkuliert hat Clement einen idyllischen Abschnitt der Ruhr für unseren Spaziergang gewählt.
Eine pittoreske „Bude“ und davor ein munteres Grüppchen Arbeitsloser, die eine Jägermeisterflasche kreisen lassen, erinnern an die Pioniertaten der echten „Malocher“ auf dem „Pütt“. „Die schulen wir auch noch auf Multimedia um“, preßt Clement optimistisch hervor. Sogleich sind wir beide ein wenig berauscht von den Zukunftsaussichten. Ich verstehe nicht alles, was er sagt, aber sein Optimismus steckt an.
Der Namenswechsel – bloßer Etikettenschwindel? „Nein“, versetzt Clement, „die RAU wird neue Akzente setzen. Sehen Sie mal, jahrzehntelang konnten Sie ohne SPD-Parteibuch hier in NRW nicht einmal Hausmeister werden. Jetzt heißt Ihr Ticket eben ,RAU-Parteibuch‘. Auch neu ist unsere AG ,Korrupte Asis': Sozialhilfe werden in Zukunft nur noch RAU-Mitglieder erhalten, und wenn sie später in der Medienbranche Fuß gefaßt haben, können wir auch gleich viel leichter die öffentliche Meinung manipulieren.“ Ein Treffen mit Wolfgang Clement ist eben immer auch eine Schule des strategischen Denkens.
„Die alte Tante RAU“, wie die RAU sicherlich etwas verfrüht parteiintern genannt wird, folgt unbeirrt der Trasse des Erfolgs.
Wir sind mittlerweile im „Taubenjupp“ angelangt, Clements Lieblingskneipe. Hier kennt er alle Gäste – vom Videothekar bis zur Raumpflegerin. Nur als der Kneipenwirt ihm das Telefon reicht, wird Clements Miene ernster. Immer öfter wird er in letzter Zeit angerufen, und meist ist es der Namenspatron der erneuerten Partei. „Der Johannes kümmert sich um alles. Er möchte einfach nicht, daß noch wer das alte Briefpapier benutzt. In der Baracke gab es letztens sogar echt Streit, als Oskar immer wieder mit Fistelstimme „EsPeDee, EsPeDeee“ sang, nur um Johannes zu ärgern. Irgendwann platzte dem Johannes der Kragen, und er schrie bloß noch: RAUS! RAUS! RAUS! Oskar und ich haben erst später verstanden, wie recht er hatte – natürlich war es Raus Tür. Am Abend haben wir uns dann aber wieder vertragen. Bevor wir am Wochenende nach Hause fahren, spielen wir jetzt immer ein Kartenspiel, das dem Johannes eingefallen ist. 32 Karten, alle mit ihm selbst drauf. Reihum wird abgelegt, und wer gewinnt, entscheidet sich dadurch, wer anfängt.“ Clement lächelt gewinnend. „Mogeln kann man beim Rau-Rau also nicht – ein ehrliches Spiel, eine ehrliche Partei.“ Eine Nachwuchsagentur im Kölner Mediapark arbeitet bereits an einer interaktiven PC-Version des Spiels „für alle von 8 bis Rau“.
Irgendwie ist dieses Kraftpaket Clement nicht mehr aus der Politik in NRW wegzudenken. Beim Abschied vor dem „Taubenjupp“ überreicht mir Clement eine kleine vorbereitete Schatulle. Ein hübscher Anstecker, eine Telefonkarte mit Förderturm und eine Demo-CD von „Rau-Rau“ in einer Gag-Verpackung aus Bibelpapier.
Einen Schuß Religiosität hat auch der Dynamo Clement im Lauf der Zeit von seinem Vorgänger mitbekommen. Mit einem lockeren Spruch schlägt er ein Kreuz in die Luft, und als die Kameraleute zusammengepackt haben, verrät mir Clement, daß die Mädels und Jungs sein privates MAZ- Team sind. Der Liebling der Mediengötter läßt sich ein elektronisches Tagebuch führen. „Irgendwann, wenn alles automatisch läuft, werden die Leute sogar Zeit haben, sich mein ganzes Leben anzusehen. Nur die REM-Phasen schneiden wir raus.“
Ich werde jedenfalls reinschalten, wenn Anfang nächsten Jahres ClemenTV auf Sendung geht. „Glitter, Clement, früh in Rente“, haucht er mir zum Abschied ins Ohr. Plötzlich weiß ich, daß ich nicht allein bin auf der Welt. Da sind Clement – und all die anderen. Daniel Hermsdorf &
Benjamin Heßler
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