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Zahlen und Legenden

Eine internationale Studie zeigt: Deutschlands Kultusminister streiten über die falschen Fragen. Nicht die Organisation, sondern der Unterricht bestimmt den Erfolg  ■ Von Ralph Bollmann

Jürgen Baumert redete zwar viel, doch zu einer Frage schwieg er wie ein Grab. „Auf das Glatteis eines Bundesländer-Vergleichs werde ich mich nicht begeben“ – mehr verriet der Experte des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung den versammelten Journalisten nicht. Dabei hatte er sie gerade mit dem Versprechen gelockt, erstmals einen „regionalen“ Vergleich schulischer Leistungen vorzulegen.

Von 1994 bis 1996 haben die Bildungsforscher zum dritten Mal die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften international verglichen. Bereits das schlechte deutsche Abschneiden im 3. und 4. wie auch im 7. und 8. Schuljahr hatte hierzulande die Gemüter erregt. Doch für die 12. und 13. Klasse fallen die jetzt vorgestellten Ergebnisse der „Third International Mathematics and Science Study“ (TIMSS) noch ernüchternder aus. Von einem „kumulativen Defizit“ spricht Baumerts Kollege Wilfried Bos, auf deutsch: „Das Defizit wird größer.“

Doch was im internationalen Maßstab möglich ist, haben die Kultusminister innerhalb Deutschlands bislang erfolgreich verhindert. Mit nur wenig größerem Aufwand hätten die Wissenschaftler genügend Schüler testen können, um für jedes Bundesland repräsentative Zahlen vorzulegen. Doch die Ergebnisse hätten das Lagerdenken in der deutschen Bildungspolitik, an dem „Progressive“ wie „Konservative“ beharrlich festhalten, gründlich aufgebrochen.

Denn schon aus den Zahlen, die die TIMSS-Forscher vorzulegen wagten, läßt sich ablesen, daß die erbittert geführten Debatten am Kern des Problems vorbeiführen. So ist es für die Leistungen nicht entscheidend, ob ein Land wie die Schweiz oder die Niederlande über ein gegliedertes Schulsystem verfügt oder wie Schweden über ein Gesamtschulsystem. Alle drei Länder stehen im internationalen Vergleich deutlich besser da als Deutschland.

Ähnlich steht es um das Zentralabitur. Hier verglichen die Bildungsforscher sogar innerdeutsch die Bundesländer mit und ohne einheitliche Prüfungsaufgaben. In Mathematik-Leistungskursen und Physik-Grundkursen zeigten sich dabei keine bedeutsamen Unterschiede, allein in Mathematik- Grundkursen schnitten die Länder mit Zentralabitur besser ab.

Ins Reich der Legende verwies die Studie auch das kulturpessimistische Argument, die höheren Schulen würden immer schlechter, je mehr Schüler sie frequentierten. Auch hier verglichen die Forscher nicht Länder, sondern Ländergruppen. Maßstab waren dabei nicht die Leistungen aller Schüler, sondern die 20 Prozent Besten eines Jahrgangs. Jene westdeutschen Flächenstaaten wie Nordrhein- Westfalen, in denen viele Schüler das Gymnasium besuchen, schnitten dabei zwar schlecht ab. Doch die Stadtstaaten erzielten trotz eines noch höheren Gymnasiastenanteils bessere Ergebnisse. Und die ostdeutschen Länder stellten mit relativ vielen Gymnasiasten sogar Länder wie Bayern in den Schatten, die eine geringe Nachfrage nach höherer Bildung nicht für eine Folge der ländlichen Struktur, sondern für ein Erfolgsrezept halten.

Doch die Bildungspolitiker nehmen solche Zahlen nicht zur Kenntnis. Zukunftsminister Jürgen Rüttgers (CDU) fordert unverdrossen zentrale Prüfungen und ein Verzicht aufs 13. Schuljahr, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärt die Studie kurzerhand für methodisch fragwürdig.

Immerhin hat TIMSS gezeigt, daß die heiß umstrittenen Themen für die Leistungen wenig bedeutsam sind. Auf die Frage, ob das 13. Schuljahr tatsächlich zu jenem Lernfortschritt führt, der den Verlust auf Lebenszeit kompensiert, geben die Forscher eine ganz simple Antwort: Das hängt von Lehrplänen und Lehrern ab. Die Bildungspolitik solle, bilanziert Bildungsforscher Baumert, „ihren Focus nicht nur auf die Schulorganisation richten, sondern endlich auf den Unterricht selbst“.

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