: Niveaulos sowieso
Stell dir vor, Die Ärzte, die „beste Band der Welt aus Berlin“, haben eine neue Platte gemacht, und schon wieder hat's keiner gemerkt – außer Millionen von hyperventilationswilligen Teenagern. Sind Männer wirklich solche Schweine? In der Sprechstunde war ■ Thomas Winkler
Sie sind die Band, die jeder kennt und keiner mag. Sie sind die Band, mit denen die Hausbesetzer die Charts instand besetzen wollten. Sie halten den deutschen Rekord an Indizierungen und wahrscheinlich die Weltbestleistung, was das komplette Durchwechseln von Publikum betrifft. Sie sind die Band, die bewiesen hat, daß man im Off der Öffentlichkeit erst richtig berühmt werden kann. Sie waren Neue Deutsche Welle, Fun-Punk und Hardrock. Und Schlager waren sie schon, als das noch ein Schimpfwort war.
Bela B., Farin Urlaub und Rodrigo Gonzales, kurz: Die Ärzte, haben eine neue Platte gemacht. Es ist ihre vierzehnte, heißt „13“ und wird das tun, was ihre Vorgängerinnen auch getan haben: sich wie der Teufel verkaufen. Was – Punk-Revival hin oder her – nichts, aber auch gar nichts mit dem Zeitgeist zu tun hat. „13“ ist vor allem und ausschließlich eine Ärzte- Platte. Oder wie es Bela ausdrückt: „Wir sind nun mal Die Ärzte, und wir machen, was wir wollen.“
Für die Bravo, das hat Schlagzeuger Bela festgestellt, „sind wir Punk-Rocker, weil die Images verkaufen und wir nicht mehr in dem Alter sind, daß wir mit den Backstreet Boys konkurrieren könnten“. Das Durchschnittsalter der Zielgruppe ist trotzdem ähnlich. Und wenn Die Ärzte eine Bühne betreten, wird auch ganz schön gekreischt. Vielleicht nicht ganz so laut, und die Hyperventilationsopfer sind seltener, aber irgendwann „kamen die Teenies“, erinnert sich Bela. Ein paar Wochen zuvor hatte man noch für Studenten gespielt, und dann so was.
Berliner Kodder- schnauzesongs
Das mag jetzt anderthalb Jahrzehnte her sein, aber es ist dabei geblieben. Das Publikum ließ sich selbst durch die regelmäßigen, auch auf „13“ wieder zu findenden Publikumsbeschimpfungen nicht vertreiben. Wenn ihnen die Verehrung der Massen gar zu aufdringlich wurde, spielten Die Ärzte schon mal so lange „Looking for Freedom“, bis sie ausgebuht wurden. Die jungen Menschen blieben trotzdem. Vor den Studenten waren schon die Hausbesetzer und Urpunks weggeblieben. „Unser Publikum hat oft gewechselt“, erzählt Bela, „und das waren alles Szenen, die nichts miteinander zu tun haben wollten.“
Doch alle schätzten und schätzen die demonstrativen Berliner Kodderschnauzesongs des Trios, die vornehmlich von Bela und Gitarrist Farin komponiert und gesungen werden. Weswegen zu vermuten steht, daß die Anhängerschaft ebenso unentschieden zwischen Pubertät und Erwachsensein, zwischen erstem politischen Bewußtsein und dem drohenden Ernst des Lebens hängt, wie Die Ärzte tapfer zwischen allen Stühlen sitzen.
„Mal hören wir: Früher wart ihr geil, da wart ihr unpolitisch. Und dann: Ihr könntet euch ja mal klarer äußern in der Öffentlichkeit über die politische Lage“, beschreibt Bela die Wünsche der Fans an eine Band, deren goldene Schallplatten zum Teil auf dem Klo des Managementbüros hängen. Für die einen sind Die Ärzte durchaus legitime Verwalter des Punk-Erbes, „tatsächlich noch echte Koryphäen von damals“, glaubt Farin, den Fehlfarbens „Monarchie und Alltag“ davon überzeugte, daß deutsche Texte singbar sind. Schließlich sind sie entsprechend lange dabei. So lange immerhin, daß Farin und Bela sich kennenlernten, als sie beim Pogo im legendären Ballhaus Spandau mit den Köpfen aneinanderrasselten.
Nach ersten gemeinsamen Gehversuchen in Belas damaliger Punk-Kapelle Soilent Grün wurden im Sommer 82 Die Ärzte gegründet. In der mauerstädtischen Tristesse zwischen Einstürzenden Neubauten und Malaria toupierten sich Die Ärzte die Haare so hoch es ging und hängten ihre Ziele noch höher: In die Charts sollte es gehen. Ihre Songs hießen „Zitroneneis“ oder „Vollmilch“, den Schlager wollten sie augenzwinkernd wiederbeleben. Im von Kriegsdienstflüchtlingen beherrschten West-Berlin war man stolz auf ihren zwar unpolitischen, aber anarchischen Witz und feierte die Provinzpunks aus den Berliner Außenbezirken Spandau und Hermsdorf triumphal wie Kreuzritter, wenn die von ihren Touren aus dem feindlichen Westdeutschland zurückkehrten.
Akzepziert als Einstiegsdroge
Die prinzipielle Unentschlossenheit der Fans zieht sich auch durch die Geschichte der Band selbst. Mal schrieben Die Ärzte einen Anti-Nazi-Song wie „Schrei nach Liebe“ oder auch die Single „1-2-3 Bullenstaat“.
Dann wieder war alles nur Klamauk. Allerdings: Die meisten Songs von der Sorte stammen aus dem ersten Leben der Band vor der Auflösung, als man in „Ich eß' Blumen“ die Vegetarier durch den Kakao zog oder neidvoll Bademeister „Paul“ beobachtete, wie er im Schwimmbad „die Mädels zur Strecke“ brachte. Seit der deutschen Vereinigung 1990 haben sie Songs geschrieben über Kindesmißbrauch, Frauen- und Männerrollen, ihr eigenes Image mehrmals überdacht und auch ansonsten zu allem was zu sagen.
Inzwischen, hat Bela beobachtet, sind „wir in einer gewissen politischen Hardcore-Szene allgemein akzeptiert als Einstiegsdroge“. Ihre prinzipiell flapsige Herangehensweise mag einigen nicht geheuer sein, bleibt aber sympathischer als betroffenes Gewäsch von BAP und Konsorten. „Wenn man lustig ist“, beschreibt Farin ein grundsätzliches Dilemma, „werden gewisse Qualitäten erst gar nicht wahrgenommen.“ Von den Ärzten hält man nichts, die mag man nicht, von denen hat man inzwischen nicht einmal eine Meinung.
Ihre Fans, und nur die, lieben sie dafür. Kalkulierte Geschmacklosigkeiten wie der inzwischen ehrwürdige 15 Jahre alte Song von Claudia und ihrem Schäferhund, der sie unterm Küchentisch bespringt, haben ihnen eben nicht nur bundesweit führende sieben Indizierungen für Songs und Plakate eingebracht, sondern halt auch Glaubwürdigkeit – trotz Millionen verkaufter Platten. Genauere Zahlen als „ein Haufen“ sind von Manager Axel Schulz, sehr viel früher einmal Saxophonist bei Family Five, nicht zu bekommen: „So was klingt immer nach Angabe.“
Wenn es peinlich wird – Bescheid sagen
„Im Underground wirst du danach bemessen“, sagt Bela, „wie du dich deinen Fans gegenüber verhältst, wie der Unterhaltungswert ist, wie die Eintrittspreise sind, was das Bier im Konzert kostet.“ Dahingehend haben sie nach Möglichkeit immer die Kontrolle behalten. Auch hat man erst unlängst ein eigenes Label gegründet, um den Sicherheitsabstand zur Industrie festzuklopfen, und mal wieder verkündet, trotz Wünschen des Managements nicht die Talkshow- Tournee mitmachen zu wollen.
Ob die neuen Leuchtfarben an diesem Zustand etwas ändern, darf bezweifelt werden. Bela hat sich vor kurzem die linke Hälfte seiner Haare grün gefärbt und Farin sogar den ganzen Schopf orange, als wollten sie das dreieinhalbte Punk- Revival höchstpersönlich verantworten.
Kann man mit 35 (Farin) bzw. 34 (Bela) noch einmal den Punk- Rocker machen? Und wie lange noch? „Das ist einfach Ästhetik“, sagt Bela. „Das ist Entertainment“, sagt Farin, „das gab es auch schon vor Punkrock. Keith Moon hat seinen Job bei The Who wegen seiner lila Haare bekommen.“ Ach ja? So war das also? Farin: „Ich habe einen Pakt mit zwei Freunden: Wenn es wirklich peinlich wird, sagen sie mir Bescheid. Und bisher haben sie nichts gesagt.“ Bela: „Ist ja klar, solange diese Freunde an deinen Hits mitverdienen.“
Da lacht der Arzt. Sich allzu ernst genommen haben sie noch nie. Und seit ihren bösen Solo-Erfahrungen während des Splits haben sie auch endgültig keinen Grund mehr dazu. „Gesetz war, und das war blöd“, sagt Bela heute über die ärztelose Zeit, „total zu vermeiden, irgendwie in Richtung Ärzte zu gehen.“ Verglichen mit der Vergangenheit wurden sie trotzdem. Und wenn nicht von den Kritikern, dann vom Publikum. „Ein Musiker, der sich das Publikum wegspielt, das ist wie onanieren“, weiß Farin heute. „Ich dachte, in mir steckt noch mehr, und habe völlig vertrackte Lieder geschrieben.“
Scheiben einschmeißen hilft auch nicht
So hörten sich die Platten auch an: Sowohl der krachende Hardrock von Depp Jones als auch die Artrockversuche von King Kong klingen nicht erst heute nach rührendem Ausbruchsversuch aus dem Popstarschicksal – und ernteten damals vernichtende Kritiken. Und wie zum Hohn verkaufte die Band, die sie aus Frust zu Grabe getragen hatten, mehr Platten als je zuvor. Bis zu ihrer Reanimation gingen 70 Prozent aller Verkäufe der Ärzte während des Splits über den Ladentisch.
Inzwischen sind sie drüber weg. Was nicht heißt, daß sie nicht mal gerne nachkarten. Auf der neuen Platte gibt es ein „Lied für dich“, das jede mögliche Kritik vorwegnimmt: „Niveaulos sind wir sowieso, aber dafür seh'n wir besser aus.“ Ein wenig nagt die Mißachtung halt immer noch, schließlich gaben sie sich in den letzten Jahren alle Mühe, glänzten mit Stilerweiterungen und nahmen mit „Le Frisur“ gar eine Platte auf, die sie selbst als Konzeptalbum sehen. „Wir könnten ein Stück lang Scheiben einschmeißen“, sagt Farin, „aber die Leute würden das nicht experimentell nennen, sondern sagen: Ach ja, Die Ärzte sind halt eine lustige Band.“
Saat des Zweifels in Mädchenhirnen
In zwei Jahren, sagt Bela, wird er verkünden, inwiefern die aktuelle Single „Ein Schwein namens Männer“ eine subversive Botschaft enthält. Satanische Botschaften, rückwärts gespielt? Stürzt die Regierung Kohl vorzeitig? Zum gegebenen Zeitpunkt mehr. Bis dahin läßt sich feststellen, daß es durchaus subversiv sein kann, in 14jährigen Mädchenhirnen die Saat des Zweifels zu legen, was z.B. im Fall von „Ein Schwein namens Männer“, das prompt die Spitze der deutschen Single-Charts erklomm, ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht und zur eigenen Frauenrolle betrifft. Im Video werden die drei Mediziner von der Videospielikone Lara Croft vermöbelt. Die „beste Band der Welt aus Berlin“ (nur leicht ironisch gemeinte Eigenwerbung) dockt mal wieder erfolgreich an die Lebens- und Erfahrungswelt ihrer jugendlichen Fans an.
Die Ärzte sind wohl so was wie tolle große Brüder oder echt geile Seelsorger. Und irgendwie wissen sie es. „Du indoktrinierst Jugendliche ein kleines bißchen“, erfindet Farin Agitprop noch einmal neu, „ohne fertige Weltanschauungen zu verteilen.“
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