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Last Exit Sonderwirtschaftszone

Die russische Exklave ist auf ausländische Investitionen und Unterstützung angewiesen. Doch die Bonner Regierung überläßt das Feld bisher den Rechten  ■ Aus Kaliningrad Gabriele Lesser

Das Gebiet Kaliningrad, das einstige Nordostpreußen mit dem einstigen Königsberg als seiner Hauptstadt, droht sich in einen gefährlichen Konfliktherd zu verwandeln. Die Exklave Rußlands, umgeben von Litauen im Nordosten, Polen im Süden und der Ostsee im Westen, entwickelt sich nicht zu dem „Hongkong an der Ostsee“, das Ex-Regierungschef Wiktor Tschernomyrdin prophezeit hatte, sondern zu einem wirtschaftlichen Desaster.

Die Privatisierung der Landwirtschaft hat aus den wogenden Getreidefeldern eine sich kilometerlang hinziehende Riesenpfütze entstehen lassen. Das Drainagesystem ist dringend reparaturbedürftig, aber niemand kümmert sich darum. Der Boden wird sauer und versumpft. Aus der Mondlandschaft von Wasser, dornigem Gestrüpp und absterbenden Bäumen ragen die Gerippe von Mähdreschern, Pflügen und Traktoren. Das Gebiet Kaliningrad kann sich nicht mehr selbst ernähren: 80 Prozent aller Lebensmittel müssen importiert werden.

In den übrigen Wirtschaftszweigen sieht es nicht anders aus. Zwar hat die rasante Talfahrt der Industrieproduktion in Kaliningrad im letzten Jahr an Tempo verloren. Von einer Erholung kann jedoch keine Rede sein. Die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Statistiken bei über 10 Prozent, Schätzungen von Wirtschaftsexperten zufolge bei rund 30 Prozent. Ausländische Investoren, die Kaliningrad als Sprungbrett in den weiteren Osten nutzen wollten, beginnen sich zurückzuziehen. 1997 investierten sie nur noch knapp acht Millionen Dollar im gesamten Gebiet Kaliningrad, gut 50 Prozent weniger als 1996.

Die von Moskau in Aussicht gestellten Subventionen blieben bislang aus oder versanken in den Taschen der Moskauer und Kaliningrader Administration. Gouverneur Leonid Gorbenko, Ende 1996 mit Hilfe der Kommunisten an die Spitze der Gebietsverwaltung gewählt, hat sich nicht nur mit einem Hofstaat von Stellvertretern umgeben. Er hat auch zahlreiche und offensichtlich üppig dotierte Beraterverträge mit namhaften Politikern Moskaus geschlossen.

Die Berater sollen helfen, das im September letzten Jahres von Tschernomyrdin unterzeichnete „Föderale Programm der Entwicklung der Sonderwirtschaftszone im Gebiet Kaliningrad für die Jahre 1998 bis 2005“ zu realisieren. Allerdings: Zu den Beratern zählt auch Igor Gajdar, der frühere Vize-Ministerpräsident Rußlands, ein erklärter Gegner von Freihandelszonen innerhalb der Russischen Föderation.

Das Förderprogramm ist bereits der zweite Anlauf, eine Freihandels- oder Sonderwirtschaftszone im Gebiet Kaliningrad zu etablieren. Sollte auch dieses Programm scheitern, kann Kaliningrad im wahrsten Sinne des Wortes „explodieren“. Im ehemaligen militärischen Sperrgebiet Rußlands sind noch immer knapp der Hälfte der rund 900.000 Einwohner mit dem Militär verbunden – wie viele Soldaten genau mit ihren Familienangehörigen in Kaliningrad stationiert sind, kann einem niemand sagen. Das riesige Waffenarsenal ist veraltet, aber nicht entschärft. Die Soldaten bekommen oft monatelang keinen Sold, es gibt zu wenig Wohnungen, Unzufriedenheit und Kriminalitätsrate steigen.

Die Regierungen der Ostseeanrainerstaaten und auch das Land Schleswig-Holstein versuchen die russische Exklave in die wirtschaftliche Entwicklung der Region einzubeziehen. Es ist die einzige Möglichkeit, den großen Knall vor der eigenen Haustür zu verhindern. Nur die Bundesregierung hat es an Fingerspitzengefühl fehlen und das Feld zunächst den Vertriebenen und Rechtsradikalen überlassen und damit die Situation Kaliningrads zusätzlich verschärft. Wen wundert es, daß Tschernomyrdin im Förderprogramm vor „bestimmten ausländischen Politikkräften“ warnt, die „auf die Geschichte der Region spekulieren“ und „die Krise für die Pflege von separatistischen Stimmungen“ ausnutzen wollten.

Politiker in Moskau und Kaliningrad fürchten nach den Erfahrungen mit rechtsradikalen „Landwirtschaftsberatern“ à la Manfred Roeder den Know-how-Transfer aus Deutschland. Gefragt sind nur noch handfeste Investitionen und am liebsten Geldgeschenke. Die Eröffnung einer Außenstelle des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) im April dieses Jahres ist als Signal an den Westen zu verstehen: Ohne ausländische Investitionen hat die russische Exklave keine Überlebenschance. Im Zentrum Kaliningrads ist die berühmte Weltzeituhr stehengeblieben. Hier tickt heute eine soziale und wirtschaftliche Zeitbombe.

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