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„Da sehen wir das Problem“

Beim 3:1 gegen Kolumbien und danach macht der raffinierte Olaf Thon deutliche Fortschritte im Rennen gegen Matthäus um den Liberojob im DFB-Team  ■ Aus Frankfurt/Main Peter Unfried

Am Hinterausgang des Pressezeltes war ein Zaun. Dahinter hingen Menschen, rüttelten daran und schrien mächtig. Meistens das Wort „Olaf“. Das ging eine ganze Weile so, bis irgendwann der Gemeinte den Kopf hob und mit sehr lauter und sehr strenger Stimme sprach: „Ja, was habt ihr denn auf dem Herzen?“ Er habe Fragen zu beantworten, das sehe man doch wohl. Da war plötzlich Stille, und nur noch einer fragte leise, ob er, Olaf, nicht später auch mal zu ihnen rüberkomme. Da entspannte Olaf Thon sein eben noch strenges Gesicht, und überaus freundlich antwortete er: „Ja, klar.“

Es ist richtig spannend dieser Tage, Olaf Thon (32) bei der Arbeit zu beobachten. Nicht bloß auf dem Rasen des Waldstadions, wo er am Pfingstsamstag beim lockeren 3:1 über Kolumbien 90 Minuten seine Interpretation des Liberopostens gab. Noch interessanter ist, ihm zuzusehen bei der richtig großen Herausforderung an einen Public-Relations-Artisten, der Herkules-Arbeit, die Mehrheitsverhältnisse in der Frage der Fragen (Thon oder Matthäus?) zu seinen Gunsten zu verschieben.

„Es können nur elf auflaufen“, sagt er zum Beispiel, nein, er doziert richtig vor versammelter deutscher Sportjournaille, „und da sehen wir schon das Problem.“ Thon läßt so was ironisch klingen. Nicht zu sehr, natürlich – nur so, daß die Zuhörer merken, er nimmt alles ernst, ist aber nicht blöd.

Der Witz dabei ist: Thon gibt sich nicht nur entspannt, er ist es offenbar tatsächlich. Deshalb wirkt er so überzeugend. 1986 war er schon dabei, ein Wunderkind damals, und reiste verletzt ab, 1990 verwandelte er im Halbfinale den entscheidenden Elfer – und mußte im Finale zuschauen. Vor der WM 1994 war er Stammlibero und mußte verletzungsbedingt zu Hause bleiben.

Und nun schien es lange, als habe ihm Sammers Verletzung ein spätes, aber wunderbares Comeback beschert. Und dann wieder, als werde ihm das noch viel wunderbarere Comeback des Kollegen Matthäus den Garaus machen.

Den hat immerhin Bild in den Fahrersitz zurückbefördert, mit freundlicher Unterstützung des ausnahmsweise kooperativen DFB-Trainers. Handelt es sich da um ein Tauschgeschäft, an dem beide ihre Freude haben – und Thon zu knabbern? Oder plant Vogts auf eine bislang für ihn untypisch raffinierte Weise eine Stillegung Matthäus'?

Der Trainer, so sieht das aus, hat im Moment der Öffentlichkeit das seltene, aber beruhigende Gefühl gegeben, alles im Griff zu haben. Mit den unerheblichen Kolumbiern hatte er den richtigen Gegner ausgesucht. Mit dem endgültig als Strafraumstürmer positionierten Oliver Bierhoff hat er einen Mann, bei dem es, sagt Vogts, „normal“ sei, „daß er zwei Tore schießt“. Mit Jens Jeremies hat er einen Beißer am Samstag auch verbal so aufgebaut, daß er nun je nach Gegner mit dem zentralen Dreieck Hamann, Jeremies, Möller/Häßler oder Hamann/Jeremies, Möller, Häßler rechnen kann.

Bleibt nur die Frage: Wer leitet vom Napoleonshügel aus das Ganze? Kandidat Matthäus, den Mann für die langen Pässe aus dem Stand, hat Vogts in Helsinki kritisiert und in Frankfurt mit einer unbedeutenden Einwechslung eher gestutzt als gefördert. Kandidat Thon dagegen hat sich gegen Kolumbien als Meister des Kurzpaßspiels und geübter Akteur vor den Manndeckern zeigen dürfen.

Da zeigte er, wie ein Libero unauffällig, aber hoch konzentriert eine entscheidende Rolle spielen kann, die Mehrheitsverhältnisse in Ballnähe zugunsten des deutschen Teams zu verschieben. Das ist für Vogts der Punkt, um WM-Spiele zu gewinnen.

Natürlich ist Thon sich sicher, der beste Libero zu sein. Das sagt er nicht. Er redet aber so über das Spiel, daß der Schluß zwingend logisch wird. Er sagt, wenn er seinen „besten Fußball“ spiele, habe er auch beste Chancen. Na ja, es gebe auch „sehr viele Spielchen“, Psychospielchen. Der Kollege Olaf Marschall zum Beispiel, hat Thon befohlen, sei künftig „Toni“ zu rufen. Diese Botschaft ist klar: Olaf Nr. 1 ist er in jedem Fall.

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