Schuppen für den Avantgardisten

■ Städitsche Galerie Delmenhorst widmet dem beinahe vergessenen Maler Fritz Stuckenberg ein eigenes Museum

Das ist Föderalismus: Das Örtchen Dangast hat seinen Radziwill, die Stadt Hannover hat ihren Schwitters, Bremen seine Becker-Modersohns, Hoetgers, Vogelers und Marcks und Osnabrück den Nußbaum. Jetzt hat auch Delmenhorst einen eigenen Maler samt Künstlerhaus: Er heißt Fritz Stuckenberg, lebte von 1881 bis 1944 und geriet nach seinem Tod in Vergessenheit. Zu Unrecht, wie Barbara Alms, die Leiterin der Städtischen Galerie Delmenhorst im Haus Coburg, findet. Schon vor fünf Jahren organisierte sie deshalb eine Retrospektive mit Bildern des zeitweise zum Berliner „Sturm“-Kreis zählenden Malers. Ab Sonntag kann sie als Leiterin der Sammlung Stuckenberg im ehemaligen Schuppen der alten Villa außerdem über ein kleines Museum gebieten, in dem der Name des Hauskünstlers fortan mindestens so wohl klingt wie die der Herren Kandinsky oder Klee.

Mit Delmenhorst verbindet Fritz Stuckenberg eher wenig. Durch einen berufsbedingten Wohnortwechsel seines Vaters wurde der kleine Fritz in die Stadt verschlagen, die er später einmal als düster bezeichnete und mit einem Kerker verglich. Schon als Teenager suchte der in wohlhabender Familie aufgewachsene Stuckenberg das Weite, begann ein Architekturstudium und orientierte sich dann zur Malerei um. Ähnlich wie Paula Becker-Modersohn und andere erlebte Fritz Stuckenberg einen mehrjährigen Paris-Aufenthalt ab 1907 als Initiation: In seinem Kampf um Licht und Farbe, so schrieb er, lösten sich dort „alle Schlacken“. Nach seiner Übersiedlung nach Berlin fand er 1916 Anschluß an den Galeristen und „Sturm“-Herausgeber Herwarth Walden, der KünstlerInnen wie Franz Marc, Wassily Kandinsky oder Gabriele Münter um sich scharte. Zwei Jahre später überwarf er sich mit Walden, und es scheiterte sein Versuch, eine eigene Künstlervereinigung zu gründen. Verarmt und schwer krank kehrte Stuckenberg 1921 nach Delmenhorst zurück.

Trotz vielfältiger Kontakte, unter anderem zum Bauhaus Weimar, und zahlreicher Ausstellungsbeteiligungen geriet der Künstler mehr und mehr in Vergessenheit. Als er Mitte der 30er Jahre in München Anschluß suchte, war es zu spät: Er war, so Barbara Alms, kein Unternehmerkünstler wie Kandinsky und nicht in der Lage, Kontakte über weitere Entfernungen aufrecht zu erhalten. Den Nazis schließlich galt seine Kunst als „entartet“. Erst zu Beginn der 60er Jahre begann die Wiederentdeckung des Malers Stuckenberg.

Für die erste Ausstellung im neuen kleinen Museum hat Barbara Alms knapp ein Drittel der rund 120 Bilder umfassenden Sammlung ausgewählt. Die rund 40, um einige Leihgaben ergänzten Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle bilden eine Werkschau der Zehner und Zwanziger Jahre. Es ist die Zeit zwischen dem Paris-Aufenthalt und Stuckenbergs Hinwendung zu spirituell-okkultistischen Bildthemen, die Alms erst in einer späteren Ausstellung vorstellen will.

ie Delmenhorster Sammlung ist nur eine Basis: Etwa die Hälfte von Stuckenbergs Arbeiten gilt als verschollen oder ist unbekannt in Sammlungen verstreut. Eine Online-Galerie im Eingangsbereich des für 1,5 Millionen Mark umgebauten und ausgestatteten Museums thematisiert das Problem. Trotzdem hat Alms viele wichtige Arbeiten beisammen und kann so dokumentieren, wie Stuckenberg an den Wechselbädern der klassischen Moderne teilgenommen hat: Die Entdeckung des und der Abschied vom Impressionismus in Paris, der kurze Flirt mit Dada in Berlin sowie die länger währende Beschäftigung mit konstruktivistischen Kompositionen. Anders als bei den tonangebenden Kollegen hat Stuckenberg an Bedeutung, Symbolik oder Befrachtung von Farben festgehalten: Rot blieb mit Liebe und Erotik assoziiert, Gelb mit Licht und Sonne. Wohl zum Naserümpfen der Puristen hob Stuckenberg die Wirkung einer Komposition mal durch ein apfelähnliches Gebilde wieder auf oder versteckte bald ein figürliches Thema hinter einer abstrakten Fassade.

Gleichwohl nahm Stuckenberg nach Auffassung Barbara Alms' wichtige Entwicklungen der 40er und 50er Jahre vorweg. In der raffiniert „unvollendeten“ Komposition mit gelben Dreieck machte er 1929 die Farbe selbst zum Gestaltungsmittel. Und als Aquarellist erfand er die eigentlich Jackson Pollock zugeschriebene Neuheit namens Dripping oder Tropftechnik. Also müssen zahllose Kunstbücher umgeschrieben werden – dank des Museumsföderalismus und des Beitrags aus Delmenhorst. ck

P.S. 1: Wenn Sie als KünstlerIn berühmt bleiben und nicht in Vergessenheit geraten wollen, halten Sie sich an folgende Regeln: Werden Sie UnternehmerkünstlerIn. Überwerfen Sie sich nicht mit mächtigen GaleristInnen. Gründen Sie keine eigene Künstlervereinigung. Pflegen Sie Kontakte auch über Delmenhorsts Stadtgrenzen hinaus. Und werden Sie nicht krank.

P.S. 2: „Sammlung Stuckenberg“ als neue Dauerausstellung in der Städtischen Galerie Delmenhorst; Eröffnungsfest am Sonntag, 7. Juni, von 14 bis 19 Uhr; Katalog 28 Mark