Der Parteifunktionär

■ Am Unterschied von Pflicht und Kür entscheidet sich nach Ansicht von Detlef Dzembritzki, dem amtierenden SPD-Chef, die Wahl des Parteivorsitzenden

Es gibt da einen kleinen Widerspruch: Eigentlich ist Detlef Dzembritzki dem Wesen nach ein richtiger Hauptamtlicher. Hauptamtlich war er nach der sozialpädagogischen Ausbildung und dem abgebrochenen Soziologiestudium sieben Jahre Sekretär beim Bund Deutscher Pfadfinder. Hauptamtlich ging er dann gleich als persönlicher Referent des Jugendstaatssekretärs unter der Sozialdemokratin Ilse Reichel in die Berliner Verwaltung. 1975 trat der inzwischen 32jährige als hauptamtlicher Volksbildungsstadtrat in Reinickendorf an, wo man ihn 1989 schließlich zum Bürgermeister machte. Der Posten des SPD- Chefs jedoch – der ist ehrenamtlich. Aber Detlef Dzembritzki, der am Samstag als SPD-Vorsitzender wiedergewählt werden will, hat noch einen anderen auffallenden Wesenszug: Er ist konsequent. „Im Zweifel habe ich eine leidenschaftliche Konsequenz“, bekennt er – gefragt nach seiner Leidenschaft. So war es „auch nur konsequent, daß ich mich in einer Partei engagiert habe, wo ich doch auch beim Bund Deutscher Pfadfinder einen Schwerpunkt auf die politische Bildung gelegt habe“, meint der heute 55jährige Pfeife rauchende Bilderbuchsozialdemokrat. Konsequent sei es übrigens auch gewesen, nach dem Mauerbau in die SPD einzutreten. „Die Partei war doch die einzige, die sich nach dem Mauerbau nicht mit dem Status quo abgefunden hat“, findet der gebürtige Berliner. Deshalb hat er sich schon mit 19 Jahren 1962 um das rote Parteibuch beworben – und es natürlich auch bekommen. Unauffällig hat sich der Pfadfinder seitdem in der Parteihierarchie nach oben gearbeitet. Konsequent.

1968 ist der große und ruhige Funktionär noch protestierend durch die Straßen der Stadt gezogen, wie er berichtet. „Es war unglaublich, wie man damals in eine Euphorie geraten ist, Ketten gebildet hat und mit „Ho Chi Minh!- Rufen im Dauerlauf über den Ku'damm“, erinnert sich Dzembritzki an seine persönliche 68er-Zeit. Das sei eine faszinierende Zeit gewesen. Aber auch schon damals regierte dann doch der Verstand Detlef Dzembritzki – ein „konstruktiver Wille zur Veränderung“ habe ihn damals bestimmt, nicht die Revolution. „De facto“ war er auch damals bei den Jusos, aber engagiert hat Dzembritzki sich von Anfang an gleich in der gediegeneren alten Tante SPD. Deshalb war der Sozialpädagoge dann auch nicht von den folgenden Berufsverboten betroffen – vielmehr bekam er die Unterlagen als Reinickendorfer Volksbildungsstadtrat auf den Tisch. „Ich habe da aber viele Gespräche mit den Betreffenden geführt und viele wieder mit einbezogen“, berichtet Dzembritzki.

Der einstmals Linke, der heute von der Parteirechten gestützt wird, gilt als zuverlässig und ausgleichend. Programmatische Impulse erwartet von ihm keiner. „Es ist leicht, auf den Tisch zu hauen“, weist Dzembritzki die Kritik an seiner stillen Art zurück, „helfen tut das oft nicht viel.“ Als Parteivorsitzender habe er vielmehr die Rolle, Konzepte sowohl innerhalb der Partei als auch nach außen durchzusetzen: „Viele unterschätzen, welche Geduld und welche Beharrlichkeit notwendig sind, um diese Arbeit zu machen. Von außen ist es immer einfach, die Kür zu fahren, während ich vor allem die Pflicht habe.“

Ganze 60 Prozent der 297 Delegierten haben sich vor zwei Jahren auf dem Wahlparteitag bei Detlef Dzembritzki für sein Pflichtbewußtsein bedankt und ihn wiedergewählt. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. „Ein stabiles Ergebnis“, beurteilte das der so mager Anerkannte. Immerhin hat er inzwischen zwei Amtsperioden durchgestanden. In der Berliner SPD, die bekanntlich einen hohen Verschleiß an Parteivorsitzenden aufzuweisen hat (sieben in den vergangenen fünfzehn Jahren), eine bemerkenswerte Leistung. Weitergehende Lobeshymnen für Detlef Dzembritzki sind Mangelware.

Dzembritzkis Wahl vor vier Jahren, als der damalige Partei- und Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt die Brocken hinwarf, war ein Ergebnis des parteiinternen Austarierens: Klaus Böger sollte Fraktionsvorsitzender werden. Ingrid Stahmer war bevorzugte Kandidatin für die Spitzenrolle im folgenden Wahlkampfjahr. Und dazwischen paßte Dzembritzki – vermittelnd, befreundet mit Ingrid Stahmer, pragmatisch genug, um mit dem aus dem rechten Kreisverband Steglitz entsandten Böger auch so etwas wie Politik zu entwickeln.

Inzwischen allerdings ist Ingrid Stahmer zwar noch Senatorin, aber in der Versenkung verschwunden, Klaus Böger bestimmt im Team mit der bedingungslos kürzenden Sparkommissarin Annette Fugmann-Heesing die sozialdemokratische Politik der Stadt. Und Dzembritzki hat, so klagen vor allem die Linken im Landesverband, Böger Nibelungentreue geschworen. Der Fraktionschef will Spitzenkandidat werden, dafür braucht er den Rückhalt eines treuen Parteivorsitzenden. Und dafür hat Böger für die Unterstützung Dzembritzkis durch den Steglitzer Kreisverband gesorgt.

Dzembritzki steht wie inzwischen fast die ganze Berliner SPD für Rot-Grün. Aber nicht, um die Politik im Land zu ändern. „Mit den Grünen können wir die Haushaltskonsolidierung wahrscheinlich noch besser bewerkstelligen, als es derzeit mit der CDU möglich ist“, hofft der Vorsitzende, der vom zähen Koalitionsgezerre ermüdet wirkt. Am eingeschlagenen Kurs indes zweifelt er nicht: „Es gibt keine Alternative zur Konsolidierung und den damit verbundenen strukturellen Reformen.“

Nur mit der Vermittlung dieses Kurses an die potentiellen WählerInnen habe es bisher noch nicht so recht geklappt, bedauert der Chefsozialdemokrat. „Im Wahlkampf 1995 ist es uns nicht optimal gelungen darzustellen, daß dieser Kurs mit der sozialen Sicherung zusammengehört.“ Doch der künftige Bundestagsabgeordnete – Dzembritzki wird voraussichtlich über einen sicheren Listenplatz ins Parlament einziehen und dann die Geschicke in Berlin fernsteuern – gelobt Besserung. Innerhalb der Partei sei er schließlich auch schon erfolgreich darin gewesen, die Diskussion um die Zukunft Berlins zu forcieren.

Zumindest was seine Familie angeht, scheint Detlef Dzembritzkis politische Überzeugung auch Wirkung zu zeigen. Nicht nur seine Frau ist „aktives Parteimitglied“, auch die Kinder sind stolze Besitzer des roten Parteibuchs. Nur die Enkel sind dafür noch zu jung. Barbara Junge