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Die große Einheit ist zum Teufel

Alle zwei Jahre trifft sich das, was vom deutschen Katholizismus übrig ist – zu Gebet, Gemeinschaft und Gestreite. Unter dem Motto „Gebt Zeugnis von Eurer Hoffnung“ werden 30.000 Teilnehmer von Mittwoch an beim Katholikentag in Mainz über Gott und die Welt diskutieren. Trotz Bundestagswahl und fünf Millionen Arbeitslosen geht es vor allem um kircheninterne Debatten. Noch nie waren Hirten und Herde so uneins über den weiteren Weg der Kirche. Katholikentage sind traditionell ein Gradmesser dafür, wievel Unmut im Kirchenkessel kocht. Die Mainzer Tage werden zeigen, daß die Zerrüttung der katholischen Kirche nicht beschworen werden muß – sondern Realität ist. Hoffnung eint die Gläubigen trotzdem: Weshalb sollten sie sich sonst alle zwei Jahre treffen?  ■ Von Bernhard Pötter

Die Seinen straft der Herr manchmal mit Mißachtung. Als die deutschen Bischöfe im Frühjahr ihre Kommission zur Beratung über die Zukunft der katholischen Schwangerschaftsberatung vorstellten, gab es im höchsten Gremium der katholischen Laien lange Gesichter. Hans-Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), fand sich nicht unter den Erwählten. Der Repräsentant von 27 Millionen KatholikInnen hatte für den Geschmack der Kirchenfürsten offenbar zu oft und zu laut den Mund aufgemacht.

Dieser Affront war der vorläufige Höhepunkt in einer Entwicklung, die in der katholischen Kirche Deutschlands zur Zeit keinen Stein auf dem anderen läßt. Denn im Mauerwerk der ältesten europäischen Institution zeigen sich besonders im Land der Reformation tiefe Risse. Nie zuvor hat die Masse der nichtgeweihten Laien sich so vernehmlich zu den grundlegenden Fragen des Glaubens geäußert. Und nie während der letzten Jahrhunderte waren die Hirten und Oberhirten trotz aller Betonköpfigkeiten so verunsichert – und zugleich so bereit, ihren Schäfchen nicht nur beim Grasen zuzusehen, sondern auch beim Blöken zuzuhören.

Nach dem Niedergang des totalitären Sozialismus rumort es zum Ende des Jahrtausends auch in der letzten autoritären Einrichtung Europas gewaltig. Der Geist der Demokratie hat sich in den vergangenen 30 Jahren millimeterweise auch durch die scheinbar fest verfugten Kirchenmauern gefressen. Die „una sancta catholica ecclesia“, die heilige, allumfassende und einige Kirche – ein auslaufendes Modell. Längst hat sich unter deutschen Kirchtürmen eine friedliche Kirchenspaltung breitgemacht. Diese Zersplitterung ist die Folge einer atomisierten und individualisierten Gesellschaft – und gleichzeitig die Chance der Kirche für die Zukunft.

Ihre letzte Modernisierung erlebte die katholische Kirche zwischen 1962 und 1965. Das Zweite Vatikanische Konzil katapultierte eine Institution, die unter ihren Talaren den Muff von zweitausend Jahren trug, in die Gegenwart. „Apertura“ (Öffnung) und „Aggiornamento“ (etwa: Angleichung an die heutige Zeit) waren die Schlagworte, die die Theologen aus aller Welt unter Führung des Reformpapstes Johannes XXIII. ausgaben.

Schluß sollte sein mit der religiösen Intoleranz, der Knebelung der Gläubigen unter abstrakten und weltfremden Glaubenslehren. Das Gewissens eines Christen galt nunmehr als oberste moralische Instanz, die sozialen Fragen wurden entdeckt, die Hand gegenüber Andersdenkenden und –gläubigen ausgestreckt. Mit 200 Jahren Verspätung holte die katholische Kirche die Aufklärung nach. Und setzte einen Mechanismus frei, der sie jetzt zu zerreißen droht.

Dieser radikale Aufbruch einer der einflußreichsten Glaubensgemeinschaften der Welt hat katholische Dogmen erschüttert. Dennoch: Mit Zähnen und Klauen verteidigen die Orthodoxen in Bischofspalästen und Gemeinden ihre liebgewordenen Gewohnheiten und Machtpositionen. Ungewollt genießen sie einen großen Sieg: Die öffentliche Wahrnehmung der Kirche, vor allem über die Massenmedien, konzentriert sich weit häufiger auf die Reaktionen der Amtskirche, auf die absurde Haltung der Kirchenhierarchie zu Sexualmoral und Abtreibung, auf Machtmißbrauch und Kinderschändung als auf die Praxis, die Arbeit und die Mühen der Gläubigen.

Die Lämmer haben ihr Schweigen gebrochen. Im deutschsprachigen Raum weht den römischen Statthaltern Gottes auf Erden scharfer Wind ins Gesicht. In der Schweiz protestierten die KatholikInnen des Bistums Chur jahrelang – und erfolgreich – gegen den von Rom durchgedrückten Bischof Haas, bis er nach Liechtenstein weggelobt werden mußte. Die Affäre um den pädosexuellen Wiener Kardinal Groer provozierte einen Aufschrei im katholischen Österreich.

Hier entstand auch 1995 die Idee, in Anlehnung an den Slogan der DDR-Opposition „Wir sind das Volk“ künftig „Wir sind Kirche“ zu rufen. Das „Kirchenvolksbegehren“ mit seinen Forderungen nach einer „geschwisterlichen Kirche“, einer vernünftigen Einstellung zur Sexualität und der vollen Gleichberechtigung der Frau war eine Klage der Basis gegen die Kirchenfunktionäre, der sich in Deutschland 1,8 Millionen Menschen anschlossen.

Für schiere Nichtbeachtung ihrer Forderungen durch die Oberhirten ist die Wut der Laien in Deutschland bereits zu weit gediehen. Nach dem Buch „Die Kleriker“ des gemaßregelten Paderborner Theologen Eugen Drewermann über die psychosozialen Defizite der katholischen Priester debattieren die progressiven Teile der Basis etwa in der Zeitschrift Publik Forum die Frage, ob Jesus von Nazareth überhaupt eine Kirche in ihrer jetzigen Verfassung mit dem Unterschied zwischen Laien und Klerus gewollt hat.

„Hat die Kirche Jesus verraten?“ ist keine kirchenkämpferische Parole, sondern eine Debatte, die in deutschen Pfarrsälen geführt wird. Die kirchliche Obrigkeit reagiert verunsichert – mal mit Ignoranz, mit Zuckerbrot, hin und wieder auch mit der Peitsche. Mal schleudert sie im berüchtigten mittelalterlichen Stil den Bannstrahl des „Ketzertums“ gegen Kleriker und Laien, die den autoritätsfixierten Kurs gerade des polnischen Papstes zu kritisieren wagen. Dann wiederum erklärt die Amtskirche den Dialog für möglich. Denn so hart die Fassade auch ist, die Kirchenhierarchie hat gelernt, daß auf lange Sicht am Gespräch mit ihren internen Kritikern kein Weg vorbeiführt.

Der Konflikt um die katholische Schwangerschaftsberatung ist vor diesem Hintergrund ein weiterer Etappensieg für die Laien. Denn der Brief des Papstes, der die deutschen Bischöfe aufforderte, das System der Schwangerenberatung zu verlassen, wenn durch den Beratungsschein eine Abtreibung legitimiert wird, offenbart die Hilflosigkeit einer Kirche, die sich in einem existentiellen Grundkonflikt zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung der Frau auf den einfachen Ausweg verlegt: Die Kirchenhierarchie erklärt sich schlicht für unzuständig. Diese römische Bankrotterklärung vor einer aktuellen ethischen Herausforderung und die Bereitschaft von katholischen Laienverbänden, dann die Beratung selbst zu organisieren, zeigen, wie sich die Gewichte zugunsten der Basis verschieben.

Das war nicht immer so. Als vor 150 Jahren in Mainz das erste deutsche Katholikentreffen stattfand, ging es um Sammlung und Selbstvergewisserung der Katholiken, um die Erkämpfung und Absicherung der religiösen Freiheiten. Nach der Reichsgründung ließ das protestantische Preußen die katholische Minderheit spüren, wer die Macht hatte. Der bismarcksche Kulturkampf einte das katholische Milieu in Deutschland, in der Weimarer Republik konzentrierte sich die politische Kraft in der Zentrumspartei. Auch in der Nazizeit kam die Bedrohung des katholischen Milieus von außen und festigte die inneren Bindungen.

Erste Risse in der gußeisernen Union der Kirche gab es 1968, als sich der Katholikentag in Essen über die „Pillenenzyklika“ zum Verbot von Verhütungsmitteln erregte. Statt einer Ergebenheits- wurde eine Protestresolution an den Vatikan geschickt – bis dato eine unübertroffene Frechheit wider die Hierarchie. 1980 in Berlin fand zum erstenmal der „Katholikentag von unten“ statt, der seitdem das offizielle Programm kritisch begleitet.

Ähnlich wie die Grünen im bundesdeutschen Parlamentarismus setzte die Avantgarde der Linkschristen Themen auf die Tagesordnung, die Jahre später in den Programmheften des offiziellen, vom ZdK organisierten Katholikentages Aufnahme fanden. Heiße Eisen wie Rüstung und Frieden, das Verhältnis der offiziellen Kirche zu Frauen, Homosexuellen und Kirchenkritikern wurden zuerst auf diesen Basistreffen besprochen. Der Marsch der katholischen Basis durch die Institution Kirche ging voran.

Der geschwundene Druck von außen führte dazu, die Allianzen im eigenen Lager zu überdenken. Heute fühlen sich viele Katholiken anderen Gruppen näher als der Mutter Kirche. Die CDU gilt nicht mehr als die für einen Katholiken einzig wählbare Partei, sie hat im Gegenteil einen großen Teil ihrer Nachwuchsreserve aus der katholischen Jugend verloren – an die SPD, in erster Linie aber an die Grünen.

Die Folge: Die Fraktionierungen innerhalb der Kirche werden stärker, Pluralisierung und Demokratisierung setzen ein. Progressive und Konservative setzen sich voneinander ab. Die InitiatorInnen der „Initiative Kirche von unten“ arbeiten am linken Rand der Kirche, in den Gemeinden sammelt die Bewegung „Wir sind Kirche“ Sympathien, auf der konservativen Seite buhlen charismatische und fundamentalistische Strömungen um Einfluß.

Die katholische Kirche – das ist keine Institution mehr, die mit einer Stimme spricht. Auch wenn die Bischofskonferenz die Einheit hochhält: Die Realität straft sie Lügen. In der Frage der Kirchensteuern und der Ablehnung der unheiligen Allianz von Christus und Fiskus kommen linke Basischristen mit rechten Eiferern wie dem Fuldaer Bischof Johannes Dyba auf einen Nenner. Hart prallen auch die Meinungen aufeinander, ob die Volkskirche noch zeitgemäß ist oder die Zukunft in kleinen Basisgemeinden liegt. Anders formuliert: Der katholische Konsens ist zum Teufel.

Das mag als Zeichen der Schwäche interpretiert werden. In Wirklichkeit kommt diese Pluralität einer Demokratisierung der letzten autoritären Bastion gleich. Und das ist gut so: In einer Zeit der Ungewißheiten und Zweifel, die auch vor der Kirche nicht haltmachen, wäre sie sonst eine „Titanic“, die dem Untergang geweiht ist.

Wo Kirche mit weltlicher und wirtschaftlicher Macht auftritt, da wirkt sie oft als korrupt in den eigenen Grundsätzen: Wie kann die Kirche Liebe und Vergebung predigen und schwangere Frauen in einer Notsituation allein lassen? Anerkennung erfährt die Kirche dann allenfalls noch als effektives Dienstleistungsunternehmen, das dem Staat die Betreuung von Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten abnimmt.

Dies allein ist aber für die katholische Kirche keine Daseinsberechtigung. Für sie gilt als oberste Maxime die Verkündigung ihrer Botschaft von Erlösung und einer Liebe, die stärker ist als der Tod. Die jesuanische Botschaft aber wird nur glaubwürdig, wenn sie die Menschen in den ihnen wichtigen existentiellen Fragen anspricht – und dort sind die Kirchen unverzichtbar. Denn in einer Gesellschaft, die sich in immer mehr Lebensbereichen und immer konsequenter dem Tanz um das Goldene Kalb verschreibt, ist die Sehnsucht nach dem Sinn des Lebens groß.

Der von Rom ob seiner Papstkritik kaltgestellte Theologe Hans Küng arbeitet bereits an einem „Weltethos“, den er als ethische Antwort auf die wirtschaftliche Globalisierung begreift. Das unbeirrte Festhalten an Prinzipien erweist sich in einer Zeit, wo alle moralischen Normen zur Disposition stehen, aber auch als verläßliche Konstante. Klerikale Lebensschützer und linke Kritiker der Gentechnik treffen sich bei der Debatte um die Unverletzlichkeit von – je nach Standpunkt – „Natur“ oder „Schöpfung“.

Mit einer Milliarde Mitgliedern, einem Netz von Beziehungen, Informationskanälen und dem Anspruch, „allumfassend“ zu sein (die Übersetzung von „Katholizismus“), ist die katholische Kirche nach wie vor einer der wichtigsten Global players. Sie könnte mit anderen Kirchen und regierungsunabhängigen Organisationen auf einige der aktuellen Fragen eine Antwort finden, wenn sie ihre Ziele von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung auf die politische Agenda setzte.

Nach zwanzig Jahrhunderten, in denen sie die Menschen in Unwissenheit gehalten hat, wäre es die Aufgabe der katholischen Kirche, eine Ethik für das dritte Jahrtausend ohne moralinsauren Geruch und ohne eigennütziges Korsett zu propagieren. Aller Anfang ist aufregend, und Gott sei Dank sind die alten Gewißheiten und vorgestanzten Antworten auf die Fragen des prallen Lebens sind diskreditiert. Der Kulturkampf innerhalb der Kirche um das Neue hat gerade erst begonnen.

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