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Das Wagnis namens Habermas

Der Philosoph wünscht sich einen sozialdemokratischen Kanzler und bittet den Kandidaten zum Diskurs über die europäische Zukunft der Demokratie, dem dieser geschickt ausweicht  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Am Anfang stand das Lob Wolfgang Thierses für Gerhard Schröder, daß er sich „auf das Wagnis eines solchen Dialoges eingelassen hat“. Wagnis? Welches Wagnis? Der stellvertretende Vorsitzende der SPD konkretisierte seine Befürchtungen nicht, als er gestern morgen die Begrüßungsworte zum dritten Treffen von „Philosophie und Politik“ im Willy-Brandt-Haus sprach.

Doch die Mehrheit der vierhundert Gäste, die der Einladung der SPD gefolgt waren, ahnte, welche Gedanken Thierse bei diesem Wort gehegt haben mag, und wohl nicht wenige waren gekommen, um ein Scheitern dieses Wagnisses zu erleben. Gerhard Schröder trifft Jürgen Habermas, das politische Rauhbein, dem, nach landläufiger Einschätzung, die mediale Akzeptanz bereits als verläßliche Elle des Erfolges gilt, stellt sich dem einzigen deutschen Philosophen von Weltrang.

Die Erinnerung an die Brandt- Wahlkämpfe Ende der sechziger Jahre drängte sich auf, sie war ja auch gewollt. Grass, Böll, Bachmann gingen mit dem damaligen Kanzlerkandidaten eine gelungene Verbindung von Geist und Macht ein. Schröder und Habermas 1998, das ist allerdings etwas anderes als Brandt und Grass 1970. Letztere waren eine Generation, die den Aufbruch probte, die mehr Demokratie wagte. Erstere sind zwei Generationen, wovon der jüngere nun seine letzte Chance sieht, auf die Geschicke der Republik entscheidenden Einfluß zu nehmen, und sich für ersteren damit der Prozeß der demokratischen politischen Kultur in Deutschland abschließt. Deshalb, so betont Jürgen Habermas, „säße ich hier nicht, wenn ich mir nicht einen sozialdemokratischen Wahlsieg wünschte“.

Er traue einem Kanzler Schröder eher zu, zwei Dinge zu gestalten: den Übergang von der Bonner zur Berliner Republik und die Zukunft der Europäischen Union. Beides waren auch die Gegenstände des Vortrages des Philosophen, der sich der „postnationalen Konstellation und der Zukunft der Demokratie“ widmete. „Demokratie sichern“ lautet die Parole dieser Zukunft, und darin liegt die zweite Unvergleichbarkeit zur Brandt- Ära.

Habermas entwarf das Szenario einer Entwicklung, in deren Umsetzung, so die Erwartung, Schröder seine Aufgabe sieht. Der Kanzlerkandidat erfüllte diese Hoffnung nur teilweise, vermied es jedoch, dem Habermasschen einen eigenen Entwurf entgegenzusetzen. Man unterhielt sich über Strecken eingestandenermaßen auf zwei Niveaus, dem der „bloßen Idee“ und dem der „Mühen der Ebene“.

Die Idee von Habermas ist die Transformation der Demokratie aus der Begrenztheit ihres nationalstaatlichen Gehäuses. Weniger, weil es ihr darin nicht mehr gefällt, als vielmehr, weil die Globalisierung mit der wohlfahrtsstaatlichen Demokratie westlichen Zuschnitts am Ende einer zweihundertjährigen Entwicklung steht. Denn vor allem die Internationalisierung der Wirtschaft unterhöhlt die Kontrollfähigkeit des Nationalstaates wie auch seine Fähigkeit, als Steuerstaat nationale Ressourcen auszuschöpfen.

Die Prämisse, daß die nationale Politik überhaupt noch territorial mit dem tatsächlichen Schicksal der nationalen Gesellschaft in Deckung gebracht werden kann, ist für Habermas in Frage gestellt. Vor allem stelle sich die Frage nach der staatsbürgerlichen Solidarität. An diesem Punkt erläuterte Habermas am Nationalstaat, was er besser am Objekt Europa hätte entwickeln sollen.

Die Einbettung des demokratischen Prozesses in eine gemeinsame Kultur habe nicht den ausschließenden Sinn der Verwirklichung einer nationalen Eigenart, sondern den inklusiven Sinn einer Praxis der Selbstgesetzgebung, die alle Bürger einbezieht. Sollen sich alle gleichermaßen mit der politischen Kultur ihres Landes identifizieren, müsse sich die zur nationalen Kultur aufgespreizte Mehrheitskultur von der geschichtlich begründeten Fusion mit der allgemeinen politischen Kultur lösen. In dem Maße, wie es gelinge, stelle sich die Solidarität auf die Grundlage des Verfassungspatriotismus.

So weit, so bekannt von Habermas. Wie sich der Prozeß jedoch auf europäischer Ebene quasi umgekehrt, ausgehend von der abstrakten Gemeinsamkeit der Rechtsgrundlage hin zu einer gemeinsamen Kultur vollzieht, wie dabei die Gefahr einer hegemonialen Kultur auszuschließen sei, blieb unerörtert. Obgleich Habermas deutlich machte, daß er eine Aufhebung der Nationalstaaten in einem vereinten Europa, in dem sie Platz in einer zweiten Kammer nehmen, für wünschenswert und möglich hält.

Seine Ausführungen blieben, wo es spannend wurde, Idee, weshalb es Schröder leichtfiel, in den Mühen der Ebene zu verharren und auf die von ihm des öfteren beschworenen Schwierigkeiten des Integrationsprozesses zu verweisen, die Harmonisierung der Sozialstandards wie die Regelung der Beschäftigungsniveaus.

Allerdings weigerte sich der Mann, der künftig einer der ersten im Staate sein will, die These von der abnehmenden Bedeutung staatlicher Politik zu teilen. Das wären „drei, vier Schritte zuviel für einen Politiker“. Schröder nannte eine Reihe richtungsweisender Politikmodelle, die, wie das Bündnis für Arbeit, des nationalen Rahmens bedürfen. Zudem gebe es „eine starke mentale Verbindung zwischen Demokratie und Nation in den Köpfen der Menschen“. Und Schröder wird das Wagnis nicht eingehen, diese Verbindung zu lösen.

Das Wagnis der Debatte darüber hat der Kandidat allerdings bestanden.

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