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Harter Hermann, feine Fans

Gesichter der Großstadt: Borussen-Coach Hermann Gerland pflegt das Image eines Minimachos. Die sonst so sensiblen TeBe-Fans sehen nach dem Aufstieg gerne darüber hinweg  ■ Von Jürgen Schulz

Ziel erreicht, Plansoll erfüllt. Hermann Gerland, Fußballehrer von Tennis Borussia, stieg am Sonnabend mit seinen Kickern in die zweite Bundesliga auf. Doch überglücklich schien ihn das 2:0 gegen Siegen nicht zu machen. Während die Spieler siegestrunken die Sektkorken knallen ließen, grummelte der 44jährige: „Die Jungs sollen jetzt einen trinken, und wenn sie voll sind, sage ich ihnen die Meinung.“

Wenig später verabschiedete er sich als erster von der Aufstiegsparty, denn am nächsten Tag hielt der enthaltsame Coach, der in seinem Leben nach eigenem Bekunden „höchstens dreimal besoffen“ war, in Gütersloh bereits Ausschau nach Verstärkungen für die kommende Saison.

Leicht hat es Gerland den Borussen nie gemacht, ihn zu mögen. „Ich gehe geradeaus durch zwei Wände“, tönte der knorrige Bochumer beim Amtsantritt im November 1996. Den ersten Gegner in seiner Berliner Ära, den Spandauer SV, wollte er in einem Anflug von Größenwahn schlicht „weghauen“. Als an der Havel lediglich ein müdes 0:0 heraussprang, grinsten schadenfrohe Journalisten über den „Lautsprecher“, der sie mit einem markigen „Ihr seid also die Ganoven, die mich fertigmachen wollen“ begrüßt hatte.

Hinter vorgehaltener Hand mokierten sich TeBe-Fans – ein sensibler Haufen, wie man ihn im rauhen Männersport selten findet – über die rustikale Art des Neuen. Vorgänger Rainer Zobel, ein Intellektueller mit acht Semestern Jura und ironischem Unterton, entsprach eher ihrem Weltbild. Als dieser im Oktober 1996 mangels Erfolg entlassen wurde, war die Verblüffung groß, als die Vereinsführung Hermann Gerland als Nachfolger präsentierte.

Ausgerechnet der „Tiger“, wie Gerland seit Bochumer Bundesligazeiten heißt! Auch die Spieler hätten wohl lieber mit Feingeist Zobel als Prolet Hermann gearbeitet, was der westfälische Poltergeist schon am ersten Trainingstag spürte. „Die machen ein Gesicht, als ob sie unter Tage Kohle abbauen müßten“, fauchte der Tiger und verbot zuallererst den Gebrauch von Handys während der Arbeit. „Ich kann hundert Meter weit werfen“, drohte er.

Kohle bedeutet für den Westfalen Vergangenheit und Philosophie. In einer Bochumer Bergmannsiedlung geboren und aufgewachsen, starb der Vater, als Hermann zwölf Jahre alt war. Die Mutter brachte die drei Kinder allein durch. „Keiner von uns ist je mit dem Gesetz in Konflikt gekommen“, betont der Erstgeborene.

Die harte Lebensschule hat ihn geprägt, gern hängt er den Ruhrpott-Malocher raus, obgleich Gerland nach der mittleren Reife Bankkaufmann lernte. Das half ihm, sein Salär geschickt anzulegen, das er als Spieler in Bochum und als Coach bei Bayern München (wo er die Amateure Hamann, Nerlinger und Kuffour zu Profigrößen formte), Nürnberg oder Berlin verdient hatte.

„Ich müßte gar nicht mehr arbeiten“, gesteht der Working-class Hero. Daß der Fußball-Fanatiker gern mit der Gattin ins Theater geht, sofern es die Zeit zuläßt, oder Chansons von Gilbert Bécaud und Charles Aznavour hört, verschweigt er geflissentlich – es würde nicht zum Harten-Hund- Image des Minimachos („Ich lass' zu Hause schon mal 'ne Jacke rumliegen“) passen.

Bis 1999 läuft sein Vertrag bei den Borussen, die in zwei Jahren in der ersten Bundesliga spielen wollen. Falls Gerland dieser Coup gelingt, spätestens dann werden die feinfühligen Fans den harten Hermann in ihr Herz geschlossen haben.

Einen Wunsch wird sich der Erfolgscoach allerdings nicht mehr erfüllen. Zu gern hätte der Vater dreier Töchter einen Stammhalter bekommen. „Ein Klavierspieler wäre das nicht geworden“, sinniert Hermann der Malocher, „aber ich habe die Produktion eingestellt.“

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