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„Rentenstrafrecht“ löst Mammutverfahren aus

■ Das Verfassungsgericht entscheidet, wieviel Rente einst systemnahen DDR-Bürgern zusteht

Freiburg (taz) – Jetzt beschäftigt sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der politisch motivierten Absenkung vieler DDR-Renten. Am 21. Juli wird über neun verschiedene Fälle in Karlsruhe mündlich verhandelt. Wie gestern bekannt wurde, muß Hans-Jürgen Papier, der Vorsitzende des Ersten Senats und Vizepräsident des Gerichts, an diesem Tag zu Hause bleiben. Er gilt als „befangen“, weil er der Bundesregierung vor vier Jahren per Gutachten bestätigte, daß ihre Ostrentenpolitik verfassungskonform sei. Als nach der Wende die ostdeutschen Renten in die westdeutsche Sozialversicherung integriert wurden, nutzte die Regierungskoalition dies, um „Privilegien“ besonders systemnaher Personen aus Wissenschaft und Staatsapparat abzubauen.

So wurden etwa bei früheren Stasi-MitarbeiterInnen der frühere Verdienst nur bis zu 70 Prozent des DDR-Durchschnittseinkommens berücksichtigt. KritikerInnen sprachen prompt von „Rentenstrafrecht“, wobei die Sanktionen ohne jedes Gerichtsverfahren verhängt wurden.

Inzwischen sind in Karlsruhe rund hundert Verfahren anhängig, die sich mit diesem Komplex beschäftigen. Neben zahlreichen Verfassungsbeschwerden sind auch etwa dreißig Normenkontrollanträge von deutschen Gerichten dabei. Allein das Bundessozialgericht in Kassel hat neun Richtervorlagen eingereicht. Es sieht die Eigentumsgarantie und das Gleichheitsprinzip verletzt. Soviele Eingaben liegen in Karlsruhe derzeit zu keinem anderen Konflikt vor. Um das Mammutverfahren überhaupt verhandelbar zu machen, hat der Senat neun Musterverfahren ausgewählt.

Auf seinen Senatsvorsitzenden Hans-Jürgen Papier muß der Erste Senat dabei allerdings verzichten. Er hatte 1994 für das Blüm-Ministerium ein Gutachten erstellt, in dem es hieß, daß die Rentenkürzungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dabei kam Papier unter anderem zu dem Schluß, daß DDR-Renten nicht vom Eigentumsschutz des Grundgesetz profitieren können, weil in der DDR das Grundgesetz nicht gegolten habe. Papier, der erst im Februar ans Bundesverfassungsgericht berufen wurde, erklärte sich selbst für befangen. Sein Senat folgte ihm jetzt in der Einschätzung. An diese Konstellation wird man sich gewöhnen müssen: Papier hat unzählige Gutachten für Ministerien und Industrieverbände erstellt.

Als Ersatzrichter wurde Hans- Joachim Jentsch aus dem Zweiten Senat ausgelost. Wie Papier wurde Jentsch einst auf Vorschlag der Union berufen, so daß sich die politischen Gewichte durch den Ausfall von Papier wohl nicht verschoben haben. Christian Rath

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