Lügen über Ibo und Abass

■ Die zwei Jugendlichen seien Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminelle und zudem nicht aus Togo, behaupten Gerüchte, die in der Stadt kursieren / Experten dementieren

Tausende Schüler haben sich für sie eingesetzt. Das halbe Schulzentrum Kornstraße hat sich unter lautem Protest mehrfach vor dem Amtssitz von Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) versammelt. Bei den Solidaritätsdemos wurden ganze Straßenzüge in der Innenstadt lahmgelegt. Und jetzt soll alles umsonst gewesen sein? Sind Ibrahim und Abass gar nicht aus Togo? Sind sie gar schon viel älter als sie vorgeben? Haben sich einfach zwei kriminelle Wirtschaftsflüchtlin-ge in unsere Wohlstandsgesellschaft eingeschlichen – unter der Vorgabe, sie wären arme Verfolgte aus Togo?

Diese und ähnliche Gerüchte kursieren derzeit in Bremen. Woher sie stammen, läßt sich nur sehr schwer feststellen. Eine Spur führt zu regierungsfreundlichen Kreisen des togoischen Eyadema-Regimes in Deutschland, denen die Popularität der zwei Jugendlichen ein Dorn im Auge ist und die jetzt eine gezielte Diffamierungskampagne anzetteln. Auch der Innensenator persönlich hat sich an der Gegen-Kampagne indirekt beteiligt, indem er unter anderem auf einer CDU-Veranstaltung in Kattenturm mit unbeantworteten Fragen hausieren ging – ohne Ibrahim und Abass allerdings direkt aufs Korn zu nehmen. Das besorgte bereits der Weser Kurier (WK) in seiner Kolumne „Durchblick“. Obwohl es sich um den Minderjährigen Ibrahim handelt, scheut man sich dort nicht, von einer „bemerkenswerten Sammlung von Straftaten“ zu schreiben – bis hin zu „Rauschgiftbesitz“. Der Staatsanwaltschaft macht der WK den Vorwurf, darüber den „Mantel der Nächstenliebe“ gedeckt zu haben und alle Verfahren „großzügig“ eingestellt zu haben. Weiter heißt es: „Was lernen wir daraus: Man kann klauen wie ein Rabe, aber Folgen hat das nicht. Ein tolles Signal an junge Menschen.“

Allerdings! Anstatt Jugendliche nicht zu brandmarken – weshalb Verhandlungen gegen Minderjährige unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden – hat der WK nichts besseres zu tun, als Ibrahim zu outen. Obendrein für „Straftaten“, die wegen Geringfügigkeit zu Recht eingestellt wurden. Nach Auskunft von Günter Werner, Rechtsanwalt des Togoers, wurde dieser dabei erwischt, wie er unter anderem einen Deo-Roller klaute. Solch ein Verfahren einzustellen, ist völlig normal. Einmal mußte Ibrahim zudem zwölf Stunden Arbeitseinsatz als Strafe ableisten. Bei seinen Drogendelikten, auf die mehrfach angespielt wird, handelte es sich um einen einzigen Joint mit einer Haschisch-Menge, deren Besitz in Deutschland nicht strafbar ist.

Zurück zu den Vorwürfen, die Jungs stammten gar nicht aus Togo. Auf Anfrage der taz stößt diese Vermutung bei ausgewiesenen Experten auf absolutes Kopfschütteln. So steht zunächst fest, daß sowohl Ibrahim als auch Abass die togoische Landessprache Französisch fließend sprechen. Zudem sind sie des Landesdialektes Ewe mächtig. Hella Ulferts, Sprachwissenschaftlerin von der Uni Bremen, die als Doktorandin über Togo forschte, grenzt damit die Herkunft der zwei Brüder auf Togo oder Benin ein: „Allerdings verändert sich der Ewe-Dialekt von Kilometer zu Kilometer. Damit läßt sich zweifelsfrei feststellen, daß die beiden aus Togo kommen.“ Das gleiche bestätigt Erich Vierring von der Norddeutschen Mission in Togo. Und auch Dieter Trappmann, Leiter der Bremer Ausländerbehörde, hat keine Zweifel an der Nationalität von Ibrahim und Abass. „Auch an dem Alter besteht eigentlich kein Zweifel. Sonst hätten wir bereits eine medizinische Untersuchung angeordnet.“

Unterdessen läuft die letzte Duldung von Abass aus. Am 18. Juni endet die letzte Frist für ihn, um freiwillig auszureisen. Danach muß er mit seiner gesetzmäßigen Abschiebung rechnen. Dagegen laufen nun mehrere Proteste. Zum einen will heute der Bremer Künstler Joachim Fischer, Mitglied der Pusdorfer Friedensgruppe, in einen unbefristeten Hungerstreik gegen Abschiebungen treten. Zum anderen findet am kommenden Montag in der Aula des Alten Gymnasiums eine Infoveranstaltung zum gleichen Thema statt. Auf dem Podium sollen dabei Rechtsanwalt Günter Werner, zwei Mitglieder der Projektgruppe „Ibrahim muß bleiben“, Arendt Hindriksen von den Grünen, Jürgen Maly oder Jens Böhrnsen von der SPD und Klaus Peters von der CDU sitzen.

Jens Tittmann