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Der alte Nord-Süd-Konflikt droht Nigeria zu spalten

■ Radikale Oppositionsführer der Yoruba und Igbo im Süden Nigerias drohen, im Falle einer Fortdauer der Militärherrschaft die Zentralregierung im Norden nicht mehr anzuerkennen

Es war die erste große Katastrophe des postkolonialen Afrika: eine Million Tote und mehrere Millionen Flüchtlinge. Hervorgebracht hatte dieses menschliche Drama der nigerianische Bürgerkrieg von 1967 bis 1970. Damals hatten Führer des Igbo-Volkes im Südosten des Landes einen eigenen Staat „Biafra“ ausgerufen, nachdem im Jahre 1966 das Militär in Nigeria die Macht an sich gerissen hatte.

Heute, nachdem das Militär mit einer nur vierjährigen Unterbrechung (1979–1983) und einer dreimonatigen Pause (1993) immer noch über Nigeria herrscht, fürchten viele Beobachter neue ethnische Konflikte in dem 110 Millionen Einwohner zählenden Land. Denn radikale Oppositionsführer des Yoruba- und des Igbo-Volkes im Süden des Landes drohen, Nigerias Zentralregierung im Falle einer Fortdauer der Militärherrschaft nicht mehr anzuerkennen. Sie sehen Nigeria als einen vom Norden beherrschten Staat. „Es geht um die Verteilung von Ressourcen“, sagt der Oppositionsaktivist Sylvester Odion-Akhaini. „Das Niger-Delta produziert den Reichtum, hat aber bei der Verwendung seiner Ressourcen nichts zu sagen. Der Westen hat die wirtschaftliche Macht. Die Leute sagen, sie wollen ihre Ressourcen selber kontrollieren. Wenn dies innerhalb eines föderalen Rahmens nicht möglich ist, ist es besser, ein echtes Arrangement zu treffen und sich abzuspalten.“

Politiker und Geschäftsleute aus dem Norden weisen im Gegenzug darauf hin, daß der dämonisierte Norden der ärmste Teil Nigerias ist. „Der Norden hat politisch dominiert, aber davon nicht profitiert“, sagt Bankdirektor Shahudeen Usman. „Wenn der Süden geherrscht hätte, wäre es genauso gewesen. Der Süden kontrolliert alle Medien und hat viel mehr Kontakte zur Außenwelt. Daher wird nur eine Sicht der Dinge wahrgenommen. Das sogenannte Monster namens Norden wird nicht gehört.“

Der Nord-Süd-Konflikt Nigerias geht auf die Kolonialzeit zurück. Die Handelsstadt Lagos an der Südküste wurde 1861 britische Kolonie. Um Handelsrouten auf dem Niger-Fluß zu schützen, wurde das Niger-Delta 1885 der britischen Krone unterstellt. Eine Handelsgesellschaft, die im Landesinneren mit den muslimischen Fulani-Emiraten der Sahelzone Geschäfte betrieb, unterstellte ihr Gebiet 1900 dem britischen Staat. Aus diesen drei Kerngebieten wurde dann 1914 die Kolonie „Nigeria“. Der Norden hatte mit dem Süden damals nichts gemein außer der britischen Herrschaft.

Seit der Unabhängigkeit 1960 zerbrechen sich daher Nigerias Intellektuelle den Kopf darüber, was nigerianische Identität eigentlich ist. Allgemein ist anerkannt, daß die lange Militärherrschaft in den Augen vieler Bürger eine fatale Wirkung gehabt hat: die Gleichsetzung der Einheit Nigerias mit der Herrschaft der Militärs.

Im Juni 1993 annullierte das Militär die freieste Präsidentschaftswahl der nigerianischen Geschichte, im November ergriff General Sani Abacha die Macht. Der Sieger jener Wahl, Moshood Abiola, sitzt seit 1994 im Gefängnis. Er ist zugleich der erste Politiker aus dem Süden des Landes, der jemals eine Präsidentschaftswahl in Nigeria gewonnen hat. Viele südliche Politiker sahen die Wahlannullierung als einen gegen den Süden gerichteten Akt; sie setzen Demokratisierung mit Abschüttelung der Herrschaft des Nordens gleich. So ist in den letzten Jahren eine schleichende Ethnisierung der politischen Debatte eingetreten.

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