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Der Tod Sani Abachas hat die politische Situation in Nigeria durcheinandergewirbelt. Schon seit Wochen formierte sich der Widerstand gegen die Militärherrschaft. Nigerias Opposition sieht sich außerstande, einer möglichen Spaltung des Landes entgegenzutreten Von Dominic Johnson

„Jetzt sind die Militärs am Zug“

„Wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Schlacht!“ Abraham Adesanya, Führer der nigerianischen Oppositionsbewegung National Democratic Coalition (Nadeco), kann seine freudige Erregung über den plötzlichen Tod Sani Abachas kaum verbergen. Dann aber mäßigt sich der 75jährige: „Beruhigend ist das nicht. Denn diejenigen, die das verstorbene Staatsoberhaupt beraten und in die Irre geführt haben, steuern jetzt die Entwicklung in unserem Land. Es ist durchaus möglich, daß sie ein Terrorregime etablieren.“

Herzversagen war nach Angaben von Abachas Familie die Ursache für den Tod des 54jährigen Präsidenten, der am Montag Nigeria überraschte. Seit Monaten war bekannt, daß Abacha krank war. Am letzten Dienstag war er zu einem geplanten Besuch in Nigerias größter Stadt Lagos, die er seit Beginn seiner Herrschaft 1993 nie betreten hatte, nicht aufgetaucht. „Er hat Angst“, höhnte daraufhin Gani Fawehinmi, Koordinator des Aktionsbündnisses Joint Action Committee of Nigeria (Jacon) und der bekannteste noch frei arbeitende Oppositionelle. „Abacha ist nur in seinem Amtssitz stark, wo er sich verschanzt hat.“

Abachas Tod hat die politische Situation in dem westafrikanischen Land durcheinandergewirbelt. Wohin Nigeria jetzt treibt, weiß keiner. Abacha hatte für den 1. August Präsidentschaftswahlen geplant, um am 1. Oktober die Macht an einen zivilen Nachfolger zu übergeben. Allerdings hatten alle fünf legalen Parteien im April unter mehr oder weniger starkem Druck der Regierung den Staatschef als ihren alleinigen Kandidaten aufgestellt. Damit schien klar, daß Abacha sein eigener Nachfolger werden sollte. Der Staatschef selbst hatte seine Nominierung nie formell angenommen.

Zugleich wuchs in den letzten Wochen innerhalb der politischen Elite Nigerias eine immer breitere Opposition gegen Abachas Verbleib im Amt. Sogar zwei Ex-Militärherrscher verlangten ein Ende der Militärherrschaft. „Die Regierung hat nie mit diesem Ausmaß an Widerstand gerechnet“, analysierte Eluem Emeka Izeze, Chefredakteur der größten nigerianischen Tageszeitung The Guardian, die Situation. „Die Opposition wird mit jedem Tag stärker. Sie hat begonnen, der Regierung den Takt vorzugeben.“ Ein Insider meinte gar: „80 Prozent der Militärs sind inzwischen gegen Abacha.“ Spekulationen über Putschvorbereitungen häuften sich.

In den Reihen der demokratischen Opposition war die Marschroute klar: Abachas Pläne zum Machterhalt waren unannehmbar. Rechtmäßig gehört die Macht dem inhaftierten Chief Moshood Abiola, der 1993 die letzte vom Militär annullierte Präsidentschaftswahl gewann. Neuwahlen sind daher für die Opposition inakzeptabel, selbst wenn die neue Regierung in letzter Minute Gegenkandidaten zulassen sollte. Die Ersetzung Abachas durch Abdulsalam Abubakar, seinen Generalstabschef, ändert daran nichts.

Inzwischen rufen immer mehr Oppositionelle im Süden Nigerias dazu auf, ab dem 1. Oktober die Zentralregierung in Abuja nicht mehr anzuerkennen und damit eine Spaltung des Landes in Betracht zu ziehen. Dazu gehören Nadeco, die als Sammlungsbewegung der politischen Elite des Yoruba-Volkes im Südwesten gilt, die Eastern Mandate Union (EMU), die die Führer des Igbo-Volkes im Südosten vereint, sowie die Chikoko-Bewegung, die die kleinen Völker im Ölfördergebiet des Niger- Deltas vertritt. „Jede Gruppe sollte ihr eigenes Land haben“, fordert Nadeco-Führungsmitglied Buckhor Akerele. „Wir kämpfen gegen den inneren Kolonialismus“, sagt Chikoko-Sprecher Douglas Oronto. „Der Osten ist marginalisiert, und wir müssen das ändern“, sagt EMU-Sprecher Udenta o Udenta.

Aus allen drei Landesteilen berichten Aktivisten von der Bildung von Nachbarschaftsgruppen, die die Bevölkerung „sensibilisieren“ sollen. Es zirkulieren in Lagos radikale Yoruba-Zeitungen, in denen alles durch die ethnische Brille gesehen wird. Eine Yoruba-Widerstandsbewegung (Egbe Yoruba Koya) ist im Untergrund aktiv und produziert bereits Landkarten eines in fünf Stücke geteilten Nigerias, in dem das Yoruba-Stück besonders groß ist. „Immer, wenn eine ethnische Gruppe so leben will, wie es Gott vorgegeben hat, ist eine andere Gruppe dagegen“, erklärt ihr Sprecher Olu Obadufe. „Niemand möchte Krieg, aber wenn man gezwungen wird, muß man reagieren. Wir sagen der Welt: Kommt und löst Nigeria auf, bevor es ein neues Ruanda wird.“

Kein Oppositionführer scheint es als seine Aufgabe zu sehen, der drohenden Ethnisierung und der Gefahr eines Bürgerkriegs entgegenzutreten. Sie unterstreichen statt dessen ihre Machtlosigkeit: „Man kann nichts ausschließen“, sagt Fawehinmi. „Wir werden nichts dagegen machen können!“ sagt Nadeco-Chef Adesanya.

Viele Prominente sehen das mit Sorge. „Die ganze Diskussion ist ein Zeichen dafür, daß es an Führung fehlt“, sagt Father Matthew Hassan Kukah, Generalsekretär der katholischen Kirche Nigerias. Der Politiker Mohammed Dikko Yusufu, der aus dem Norden stammt und derzeit versucht, zur geplanten Präsidentschaftswahl anzutreten, ist eindeutig: „Das ist dummes Geschwätz. Es kommt von jungen Leuten, die eine solche Lage nicht kennen.“ Er fürchtet eine Ethnisierung der politischen Krise jedoch wenig: „Es ist nicht so ernst, wie Sie denken könnten. Alle Nigerianer wissen, wie sehr sie voneinander abhängen. Nur wenn sie sich betrogen fühlen und wenn es Geld zu verteilen gibt, fangen sie an zu schreien.“

Yusufu wird inzwischen von manchen Beobachtern als ein möglicher Kandidat für eine politische Entspannung angesehen, sollte es doch noch zu echten Wahlen kommen. Mit Abachas Tod müssen ja die fünf legalen Parteien Nigerias neue Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Der Regierung fällt jetzt die Aufgabe zu, eine politische Öffnung zu ermöglichen. Schon seit Wochen wird die Möglichkeit diskutiert, den inhaftierten Wahlsieger von 1993, Moshood Abiola, in eine Regierung der Nationalen Einheit aufzunehmen. Das jedoch lehnt die radikale Opposition ab: „Sollte Abiola das annehmen, wird er auf der Straße gesteinigt“, tönt Gani Fawehinmi.

Paradox an der jetzigen Lage ist, daß die Opposition in ihrer Radikalität wie erstarrt erscheint, während sich für das Militär neue Handlungsmöglichkeiten ergeben. „Jetzt sind die Militärs am Zug“, sagte am Montag abend der exilierte Schriftsteller Wole Soyinka. „Sie haben jetzt die Chance, mit Anstand abzutreten. Beten wir dafür, daß sie sie ergreifen.“

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