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Tirol probt den Aufstand gegen den Brummi-Verkehr

■ Ab morgen blockieren die Tiroler die Brenner-Autobahn aus Protest gegen Verkehrszunahme

Wien (taz) – Der Verkehrskollaps ist beabsichtigt: Vom morgigen Freitag, 11 Uhr, bis Samstag, 15 Uhr, wird die Brenner-Autobahn, die wichtigste und kürzeste Verbindung von Bayern nach Italien, blockiert. Die Veranstalter vom Innsbrucker Verein Transitforum erwarten mehrere tausend Teilnehmer, allen voran den Tiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner, an dieser polizeilich genehmigten Aktion. Die Tiroler wollen gegen die dramatisch zunehmende Belastung ihrer Berggemeinden durch den grenzüberschreitenden Güterverkehr protestieren.

Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Luftgüte und Lebensqualität in den Gemeinden um die Brenner-Autobahn leiden immer mehr unter dem Schwerverkehr über die Alpen. „Wenn die Räder stillstehen, kommt Bewegung in die Politik“, gibt sich Fritz Gurgiser, der Obmann des Transitforums, gegenüber der taz überzeugt. Die Protestaktion soll zunächst bewirken, daß die bestehenden Abkommen eingehalten werden, aber sie sollen auch die österreichische Delegation kommende Woche im EU-Verkehrsministerrat unter Druck setzen.

In erster Linie geht es um die Erfüllung der im österreichischen EU-Beitrittsvertrag von 1994 verankerten Ziele: mengenmäßige Beschränkung des Straßengütertransitverkehrs auf Basis des Jahres 1991, Reduktion der Schadstoffbelastung um 60 Prozent innerhalb von 12 Jahren, Übernahme der Kosten des Straßengüterverkehrs durch die Verursacher und Verlagerung des Transitgüterverkehrs auf die Schiene.

Die Wirklichkeit ist von diesen Zielen weit entfernt: Von 1990 bis 1996 hat sich die Anzahl der Lkw- Transitfahrten durch Tirol von 850.000 auf 1,217 Millionen, also um 43 Prozent, erhöht. Die vereinbarte Reduktion der Schadstoffe wurde gleichzeitig um 77 Prozent verfehlt und die Mautgebühr um 15 Prozent gesenkt. Auch die Verlagerung auf die Schiene ist trotz Milliardeninvestitionen in den Streckenausbau Illusion geblieben. Der Eisenbahntransit hat sich bis 1997 nur um 1,42 Prozent gesteigert, während der Straßentransit um fast 10 Prozent angewachsen ist. Schuld sind nicht zuletzt die hohen Bahntarife. Wenn es nach der EU geht, dann soll auch das in Österreich seit 1989 geltende Wochenendfahrverbot für Lkws über 7,5 Tonnen im Namen der EU- weiten „Harmonisierung“ eingeschränkt werden.

Ganz Tirol steht hinter der Protestaktion. Dem Transitforum gehören über zwei Dutzend Land- und Stadtgemeinden in Nordtirol, Südtirol und Vorarlberg, darunter auch die Landeshauptstadt Innsbruck, an. Der „schwarze“ Alpenverein mit all seinen Landessektionen ist ebenso vertreten wie die „roten“ Naturfreunde, der Verein „Ärzte für eine gesunde Umwelt“ genauso wie die Schützenkompanie aus Wilten. Der Blockadebeschluß wurde im Tiroler Landtag von allen Parteien unterstützt. Wie einst der Freiheitskämpfer Andreas Hofer, der einen aussichtslosen Aufstand gegen die napoleonische Besatzung anführte, fühlen sich die Transitgegner von der Zentralregierung in Wien verraten, die die schleichende Unterwanderung der strengen Verkehrsbeschränkungen toleriert.

Mit seinem grünen Licht für die Protestaktion, die den Lkw-Verkehr vier Tage lahmlegen wird – heute ist in Österreich und Bayern Feiertag – will nun auch das Innenministerium beweisen, daß es nicht gegen die Umwelt ist. Die Regierung riskiert damit aber eine Verurteilung vor dem EU-Gerichtshof, wenn eine Spedition auf die Idee kommen sollte, die Republik wegen Behinderung des freien Warenverkehrs zu verklagen. Ralf Leonhard

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