: Die Auswahl der Jahrgangsbesten
■ Auf daß sie bald auf unseren Schirmen landet, zeigt das Kölner Fernsehfest die Creme der Welt-TV-Produktion
Manch Fernsehsessel ist verwaist in diesen Tagen, da in Köln eine Woche lang die „Cologne Conference“ vonstatten geht, im Untertitel mit einiger Befugnis „Internationales Fernsehfest“ geheißen. Hier treffen sich Fans und Fachleute und bekommen strenge Fachdiskussionen ebenso geboten wie ausgelassene Medienpartys. Sofern sie dafür eine Einladung ergattern konnten.
Von besonderem Interesse für berufsmäßige Programmbeobachter sind die „Top ten“, eine Auslese herausragender Fernsehproduktionen aus aller Welt. In der Vergangenheit gewährte diese Einblicke in spätere Programmhöhepunkte wie „Homicide“ (1993), „Für alle Fälle Fitz“ (1994), „Emergency Room“ (1995); Pretiosen wie der gerade in den Kinos kursierende Dokumentarfilm „Soul in the Hole“ oder die jüngst von TM 3 ausgestrahlte Komödie „Perfect Match“ hatten hier Deutschlandpremiere.
Mit zwei erzählenden Beiträgen und einer Dokumentation dominieren in diesem Jahr die britischen TV-Macher. Zwei Urheber sind bereits wohlbekannt: Der Fünfteiler „The Lakes“ stammt von „Fitz“-Autor Jimmy McGovern; Gub Neal, der als Produzent wesentlichen Anteil am Erfolg von „Fitz“ hatte, zeichnet als Produzent des Zweiteilers „Painted Lady“ (Großbritannien 1997).
Der Film beginnt konventionell mit einem Kunstdiebstahl und einem Mord. Eine abgehalfterte Rocksängerin (Helen Mirren), Freundin des Toten, macht sich auf die Suche nach den Tätern. Das gestohlene Gemälde ist ihr Anknüpfungspunkt. Möglicherweise handelt es sich um ein unbekanntes Werk von Artemisia Gentileschi. Das folgende Geschehen spielt zwischen internationalem Kunstmarkt und der irischen Unterwelt.
Mit der Raffinesse eines Peter Greenaway verwebt Drehbuchautor Allan Cubitt („Prime Suspect“) das Schicksal der Gentileschi mit dem seiner Heldin. Dem kunsthistorischen Subtext entspricht Julian Jarrolds Inszenierung: gedämpftes Licht, die Farbtöne patinierter Ölgemälde, Anspielungen sonder Zahl. Doch nicht nur Kunstkenner kommen auf ihre Kosten, Jarrolds Zitatenschatz reicht von der klassizistischen Ikone bis hin zu Sergio Leone und Quentin Tarantino. Daß der Film beinahe einwandfrei auch als spannender Krimi funktioniert, rechtfertigt endgültig die Aufnahme in die Bestenliste.
In dem episch verschlungenen, dabei ungemein fesselnden Fünfteiler „The Lakes“ (Großbritannien 1997) verarbeitet Jimmy McGovern einmal mehr seine Erfahrungen mit dem Katholizismus und variiert am Beispiel eines tragischen Bootsunglücks Themen und Motive, die vom Kinofilm „Der Priester“ bis zur Krimiserie „Für alle Fälle Fitz“ kennzeichnend für seine Drehbuchvorlagen wurden: Meß- und Bewertbarkeit von Schuld, Versuchungen aller Art, priesterliche Selbstzweifel, die Ambivalenz der Familie: als Hort einerseits, andererseits als Ursache von Zwängen, Beschränkungen.
In Tom Fontanas verstörender TV-Serie „Oz“ (USA 1997) ist das Land hinter dem Regenbogen ein Zuchthaus modernster Bauart: „Oz“ steht für „Oswald Penitentiary“. Der episodisch strukturierte Pilotfilm stellt Insassen und Personal vor. Verdichtet auf einige wenige Räumlichkeiten, entwickeln sich Geschichten von höchster Dramatik, visuell umgesetzt durch eine aufwendige Bildgestaltung und schier atemberaubende Kameraeinstellungen.
Verhaltener ist „Minuit“ (Brasilien/Frankreich 1998) aufgemacht, der brasilianische Beitrag zu einer von arte initiierten Reihe mit Filmen zur Jahrtausendwende. Auch hier gibt es Bilder aus einem Gefängnis. Im Trubel der Millenniumsfeiern trifft ein Ausbrecher und Mörder auf eine junge Frau und rettet sie vor dem Selbstmord. Anders als „The Lakes“ und „Oz“ erscheint die Reflexion des Berlinale-Siegers Walter Salles über Aufbruch und Endlichkeit übermäßig konstruiert und abgehoben.
Mit der von Atom Egoyan verfaßten und inszenierten Episode „Sarabande“ aus der Reihe „Yo-Yo Ma. Inspired by Bach“ (Kanada 1997) ist arte ein weiteres Mal im Programm vertreten. Der Beitrag schildert in Form eines elegischen Reigens die Schicksale verschiedener Personen. Zusammengehalten werden die Handlungsfäden von einem Auftritt des Cellisten Yo-Yo Ma, der auch als Darsteller in Erscheinung tritt.
Sehr unterschiedlich ist die Qualität der beiden Dokumentationen. In „Lee Strasberg – The Method Man“ (Großbritannien 1997) porträtiert Clare Beavan den Schauspieler und Begründer des „Actor's Studios“ in herkömmlicher Manier mit Archivbildern und Interviewpassagen.
Eine ganz eigene Form der Montage verwendet hingegen Dariusz Jablonski in seinem Film „Der Fotograf“ (Polen/Deutschland 1997), eine Koproduktion von arte und MDR. Der Titel meint Walter Gennewein, den Finanzleiter des jüdischen Ghettos von Lodz, der seine Arbeit mit der Kamera festhielt.
Genneweins Farbfotos und seine buchhalterisch präzisen Aufzeichnungen – penibel registriert und legitimiert er den Verbrauch zweier Patronen für die Ermordung einer unbotmäßigen Jüdin – werden in Kontrast gesetzt zu den Erinnerungen des Ghetto-Arztes Arnold Mostowicz, wobei der Regisseur die gewohnte Farbdramaturgie auf irritierende Weise umkehrt: die aktuellen Aufnahmen sind in Schwarzweiß, die historischen hingegen in Farbe. Ein in Wort und Bild zurückhaltender, gerade darum außerordentlich intensiver Film. Harald Keller
Die Filme können auf den Kölner Rheinterrassen noch bewundert werden: „The Lakes“, Sa., 18 Uhr; „Oz“, Sa., 20 Uhr; „Minuit“, So., 17 Uhr; „Sarabande“, Sa., 17 Uhr; „Lee Strasberg“, So., 20 Uhr; „Der Fotograf“, So., 18 Uhr.
Die weiteren Beiträge: „Boy Meets Girl“ (Kanada 1998), Komödie, Regie: Jerry Ciccoritti (lief schon); „Die Bubi Scholz Story“ (Deutschland 1997), TV-Film, Regie: Roland Suso Richter (Sa., 17.30 Uhr, Cinenova); „South Park“ (USA 1997), Cartoonserie, Creators: Parker, Stone (Sa. 22.30 Uhr)
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