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In Rom beraten ab heute Vertreter von über 150 UN-Staaten über die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Gestritten wird noch über die Kompetenz der Institution. Einigkeit herrscht bislang weder über die Verbrechen, auf die sich die Befugnisse des Tribunals erstrecken sollen, noch über die Frage, auf wessen Veranlassung es tätig werden darf. Eine „Koalition der Verhinderer“ wittert eine Bedrohung der nationalen Souveränität. Aus Rom Andreas Zumach

Ein Weltgericht für Völkermord

Ranghohe Regierungsvertreter von mindestens 150 der 186 UNO-Staaten verhandeln ab heute in Rom über ein Vorhaben, das die Völkerrechtskommission der Generalversammlung in New York bereits seit 1947 diskutiert: die Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court, ICC). Aus Bonn reisen Außenminister Kinkel und Justizminister Schmidt-Jortzig nach Rom. Ziel der auf fünf Wochen anberaumten Verhandlungen, die in Anwesenheit von rund 250 regierungsunabhängigen Organisationen (NGO) stattfinden, ist die Verabschiedung des Statuts für einen Internationalen Strafgerichtshof, der dann 1999 wahrscheinlich in Den Haag etabliert würde.

Bereits die unter dem Eindruck des Holocaust vereinbarte „Genozid-Konvention“ der UNO vom Dezember 1948 sieht in ihrem Artikel sechs die Schaffung eines ICC für die Verfolgung von Völkermordverbrechen vor. Doch jahrzehntelang mangelte es an politischer Bereitschaft der meisten UNO-Staaten zur Umsetzung dieser Absichtserklärung.

Eine neue Dynamik erhielt die Diskussion um einen ICC durch die beiden Ad-hoc-Tribunale für die Verfolgung der Kriegsverbrechen in Exjugoslawien und Ruanda, die der UNO-Sicherheitsrat 1993 und '95 etablierte. Ein 1996 von der Generalversammlung eingerichteter Vorbereitungsausschuß, an dem Vertreter aller Staaten sowie von NGOs teilnehmen konnten, erarbeitete bis Anfang April dieses Jahres den Entwurf für ein ICC-Statut. Und in den letzten Monaten erweckten zahlreiche Erklärungen von US-Präsident Bill Clinton und Regierungspolitikern anderer Länder den Eindruck, als sei die Schaffung eines handlungsfähigen ICC inzwischen breiter Konsens der internationalen Staatengemeinschaft.

Doch die öffentlichen Bekundungen täuschen. Angesichts tiefgreifender Differenzen über alle zentralen Bestimmungen des ICC- Statuts ist der Ausgang der Konferenz völlig offen. Die Kontroversen verlaufen quer durch die bei UNO-Konferenzen sonst üblichen politischen Lager und regionalen Staatengruppen. Am schärfsten ist die Spaltung zwischen Europa und den USA.

Bislang treten erst 48 der 186 UNO-Staaten für die baldige Einrichtung eines effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit auch glaubwürdigen ICC ein. Zu dieser intern so genannten „Gruppe der 48 Gleichgesinnten“ (G-48) gehören Deutschland (mit einer führenden Rolle) und alle anderen EU-Staaten außer Frankreich. Darüber hinaus die skandinavischen und osteuropäischen Länder sowie die Schweiz und schließlich mit Kanada, Südafrika, Senegal, Singapur, Südkorea, Australien und Argentinien wichtige Regionalmächte aus aller Welt mit Ausnahme des arabischen Raums.

Dieser Gruppe gegenüber steht eine in dieser Zusammensetzung nie dagewesene „Koalition der Verhinderer“ von etwa 30 Staaten – darunter die vier ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Frankreich, Rußland und China sowie Irak, Kuba, Lybien, Nordkorea, Sudan, Nigeria, Japan, Indien, Pakistan, Indonesien, Malaysia, Mexiko, Syrien und Ägypten. Gemeinsam ist diesen Ländern, daß sie einen ICC als Bedrohung ihrer Souveränität wahrnehmen.

Eine Minderheit dieser Staaten lehnt einen ICC mehr oder weniger offen ab. Die Mehrheit, darunter die USA und Frankreich, gibt zwar Lippenbekenntnisse ab zur Schaffung der Institution, bemüht sich bei den Statutverhandlungen aber darum, daß der ICC möglichst wenige eigene Kompetenzen erhält oder unter Kontrolle des UNO-Sicherheitsrats (im Klartext: seiner fünf vetoberechtigten ständigen Mitglieder) gestellt wird und damit zu einer ineffektiven, funktionsunfähigen Einrichtung wird.

Die restlichen über 100 UNO- Staaten haben sich noch nicht festgelegt, zumindest nicht bis zum Abschluß der letzten Vorbereitungskonferenz Anfang April. Seitdem laufen hinter den diplomatischen Kulissen intensive Bemühungen der „G-48“ wie der Verhindererkoalition, ihre jeweiligen Lager zu verstärken. „Human Rights Watch“ und andere Menschenrechtsorganisationen appellieren an die „G-48“, das Ergebnis der Verhandlungen in Rom nicht von Washington abhängig zu machen. Ähnlich wie beim Ottawa- Prozeß für ein Verbot von Antipersonenminen müsse auf der Konferenz das Statut für einen effektiven und unabhängigen ICC beschlossen werden, auch wenn die USA und andere Staaten zunächst nicht mitmachten.

Die Etablierung eines funktionsunfähigen ICC ohne echte Kompetenzen wäre hingegen nach übereinstimmender Einschätzung der in Rom vertretenen NGOs das denkbar schlechteste Ergebnis. Ein schlechtes Statut in den nächsten Jahren nachzubessern, werde sich als unmöglich erweisen.

Diese Einschätzung wird intern auch in Bonn und anderen Hauptstädten der „G-48“ geteilt. Gestern appellierte Bundesaußenminister Klaus Kinkel an die Staatengemeinschaft, das historische Vorhaben nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verwässern. Der Strafgerichtshof solle keine Alibiinstitution, sondern ein handlungsfähiges Tribunal für weltweit strafbare Schwerstverbrechen werden. Ein funktionsfähiger und glaubwürdiger Internationaler Strafgerichtshof würde die Welt ein gutes Stück gerechter machen.

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