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Schuppen im Schlüpfer, Pilze am Hals, Ausschlag am Mund

■ In Renée Frenchs „Grit Bath“ leben Kinder ihre Neugier aus, indem sie Körper zerstören. Comics als Bestandteil feministischer Erfahrung?

Ein Waschbär beißt einem Jungen ein Stück aus der Wange und stirbt, mit Schaum vor dem Mund. Der Junge mit schütterem Oberlippenbart wiederum beißt später einem Mädchen beim Sex eine Brustwarze ab – die ganze Zeit hatte er an das von ihm geliebte Tier gedacht. Sie hatte indes geschrien: „Beiß meine Nippel!“ Nun liegt sie still und verstört im Bett. Liebe und Sex sind mißverständlich, bald darauf stirbt auch der Junge.

Es wäre falsch zu glauben, daß es sich bei dieser Geschichte um eine Metapher für Mißbrauch handelt. Die Comiczeichnerin Renée French benutzt ohnehin keine Andeutungen. Als das Mädchen mit blutender Wunde badet, steht ein Baguette am Wannenrand wie ein erigierter Penis herum, die Erdnüsse in einer Dose erinnern dabei an Eizellen. Und weil die Mutter ein Messer in der Hand hat, kurz bevor der Junge stirbt, war vielleicht doch nicht der Biß des Waschbären tödlich. Die Familie, so legt French nahe, bringt Menschen auf engem Raum zusammen, und das ist das Schlimmste, was einem zustoßen kann.

In Frenchs Comic „Grit Bath“ geschieht alles direkt, brutal, ohne Erklärungen. Nicht umsonst wählt sie für ihre Geschichten Jugendliche oder Kinder aus. Sie töten und amputieren aus Naivität oder Neugier, und ihre unerprobte Sexualität kennt scheinbar keine Unterscheidung zwischen pervers und normal. Dazu paßt auch der Zeichenstil: French hat Spaß an Häßlichkeit. Ihre schwarzweißen Bilder weiten sich nie zur Totalen, sie sind eher zu nah dran. Die Figuren gehören zum white trash, haben gezupfte Augenbrauen und Fettwülste. Das aber zeichnet French alles nur nebenher. Entscheidend ist, daß ihnen irgend etwas fehlt. Ständig werden Teile abgebissen, abgetrennt, ausgespritzt. Dann wieder gibt es Spuren des Verfalls: Schuppen fallen aus dem Schlüpfer, Pilze wachsen am Hals, und Ausschlag umkränzt den Mund.

Das Drama um Auslöschen und Körperpolitik, mit dem sich Feministinnen seit den siebziger Jahren beschäftigt haben, ist bei French an einem Extrempunkt angelangt. Vor allem heißt es aber nicht, Wunden zu lecken. French bezichtigt niemand, zeigt keine Schuldigen, trauert um keine Opfer. Anders auch als Splatterfilme spielt sie nicht mit der Amputationsangst des Betrachters. Wenn der Körper nie ganz war, warum soll er dann weitere abgetrennte Glieder fürchten? Schockgefrieren nennt man ein Verfahren, mit dem zerlegtes Fleisch vor dem Verfaulen bewahrt wird. French zeichnet schockgefrorene Comics. Martin Zeyn

Renée French: „Grit Bath“, Bd. I/II, Jochen Enterprises, je 9,95 DM

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