: „Die bisherige Drogenpolitik ist gescheitert. Ich verspreche mir eine Trendwende von staatlich verabreichtem Heroin.“ Das sagt nicht etwa ein Legalize-it-Apostel oder Grüner, sondern Bielefelds Polizeidirektor Horst Kruse. Neben Polizeichefs und Ärztefunktionären fordern inzwischen auch konservative Politiker eine Wende in der Drogenpolitik. Eine Bestandsaufnahme zum heutigen bundesweiten Aktionstag von Manfred Kriener und Walter Saller
Die Mauern bröckeln
Und sie bewegt sich doch. Die Drogenpolitik in Deutschland ist dabei, sich aus ihrer jahrzehntelangen, betonschweren Starre zu lösen. Die ideologischen Mauern sind zwar noch nicht durchbrochen, aber sie bröckeln an allen Ecken und Kanten. Das Glaubensbekenntnis, Suchtkranke mit Polizei und Justiz kurieren zu wollen, verliert mehr und mehr Anhänger.
Die Öffnung und Ausweitung der Methadon-Programme, die Einrichtung von Druck- und Gesundheitsräumen, die medizinisch kontrollierte Abgabe von Heroin – es sind keine Legalize-it-Apostel, nicht nur Sozialdemokraten und Grüne, die dies fordern, sondern deutsche Polizeipräsidenten und CDU-Bürgermeister, Ärztefunktionäre und Justizminister, drogenpolitische Berater der Bundesregierung, liberale und konservative Politiker (siehe Seite 1). Vor allem bei den Christdemokraten ist ein Bewußtseinswandel unübersehbar. Eine Umfrage der taz ergab erstaunliche Sympathien für eine drogenpolitische Korrektur in der Partei Helmut Kohls. Allerdings wollen sich viele Abgeordnete vor der Bundestagswahl nicht öffentlich als Kritiker des alten Repressionskurses outen.
Offensiv vertritt dagegen die Bundesärztekammer ihren neuen Kurs. „Man kann ja klüger werden“, begründete Ingo Flenker, Vorstandsmitglied der Kammer, die Wende seiner Organisation hin zur kontrollierten Heroinabgabe. „Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß 1996 die Zahl der Drogentoten auf über 1.700 gestiegen ist – Zeit für uns, darüber nachzudenken, wie wir die therapeutischen Angebote erweitern können.“ Flenker hofft auf ein Einlenken von Gesundheitsminister Seehofer (CSU), der inzwischen Bereitschaft zeigt, über die Heroinvergabe „zu diskutieren“, oder auf einen Machtwechsel im September: „SPD, Grüne und FDP haben ja längst signalisiert, daß sie eine geänderte Drogenpolitik begrüßen würden.“
Neben dem spektakulären Umdenken der Ärztefunktionäre sorgt die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) für Aufsehen. Die Suchthüter aus Westfalen, Drogenberater der Bundesregierung, wollen nun ebenfalls das Repertoire der Hilfsmöglichkeiten erweitern und statt Knast und Zwangsentzug Stoff vom Staat und Spritzen unter medizinischer Aufsicht ausprobieren. DHS-Sprecher Hüllinghorst bleibt gleichwohl vorsichtig. Er bewegt sich auf dünnem Eis. Er sieht die Notwendigkeit einer anderen Drogenpolitik, will sich aber nicht allzuweit von der offiziellen Linie der Bundesregierung entfernen – die DHS hängt schließlich am Etattropf von Minister Seehofer.
Während mit Seehofer zumindest zu reden ist, steht Eduard Lintner (CSU), Drogenbeauftragter der Bundesregierung, als letztes Bollwerk in Treue fest zum alten Kurs von Repression und Abstinenzdogma. Wider besseres Wissen diffamiert er die Heroinverschreibung durch Ärzte als „Freigabe“ harter Drogen, die es mit ihm nicht geben werde.
Im Gesundheitsausschuß des Bundestages wird nächste Woche abschließend über die Einrichtung von Druckräumen und die Durchführung von Modellversuchen zur ärztlich kontrollierten Heroinabgabe beraten. Ginge es jenseits von Parteitaktik und Koalitionsdisziplin nur um die Inhalte, wäre die Mehrheit für eine neue Drogenpolitik sicher. Bei ihren Gesprächen in Zürich gerieten auch die CDU/ CSU- und FDP-Mitglieder des Gremiums angesichts der überzeugenden Erfolge der Schweizer Gesundheitspolitiker ins Grübeln.
Doch die Bonner Entscheidung über Druckräume und „Heroin vom Staat“ fällt jetzt ausgerechnet in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes. Ein Votum für ein Experiment mit der ärztlichen Verschreibung von Heroin ließe sich gerade für die Union schwer mit Stammtischpopulismus und Wählerfang am rechten Rand vereinbaren. Wird der Ausschuß also mit neuen Tricks weiter auf Zeit spielen und sich erneut um einen Beschluß drücken?
Während die Wahlkämpfer mit Law-and-order-Parolen Stimmung machen, sind viele oberste Ordnungshüter längst auf einen liberalen Drogenkurs geschwenkt. Ein gutes Dutzend Polizeipräsidenten deutscher Großstädte fordert immer lauter die Wende. Die Männer an der Front haben seit langem kapiert: „Selbst wenn wir viermal so viele Polizisten hätten, könnten wir das Drogenproblem nicht lösen, wir würden nur die Preise hochtreiben, und die Dealer würden noch höhere Gewinne machen“, erkennt der Bonner Polizeichef Dierk Schnitzler. Die Bürgermeister mehrerer Großstädte haben inzwischen die Forderungen ihrer Sicherheitskräfte ernst genommen. Frankfurt, Köln, Karlsruhe und Hannover haben bei der Bundesregierung die Genehmigung für einen Modellversuch mit Heroin nach Schweizer Vorbild beantragt.
Für eine Wende in der Drogenpolitik werden heute im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages in vielen deutschen Großstädten Drogen- und Aidshilfen, Selbsthilfegruppen und Angehörige streiten. Sie alle spüren den Wind der Veränderung, der in den letzten Monaten durch die Republik blies. „Das ist ja schon beinahe ein Dammbruch“, interpretierte Stefan Edgeton, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aidshilfe, die Stimmung im Lande.
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