: Wir fordern: Heroin vom Staat
■ Für eine Wende in der Drogenpolitik: Polizeipräsidenten und Landesminister, Oberbürgermeister und Ärzte, CDU-Politiker und Kommunalverbände verlangen Druckräume, offene Methadon-Programme und die medizinisch kontrollierte Abgabe von Heroin für Schwerstsüchtige nach Schweizer Vorbild. „Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, Abhängigen, die Kranke sind, zu helfen“
Horst Kruse, Polizeidirektor in Bielefeld: „Die bisherige Drogenpolitik ist gescheitert. Ich verspreche mir eine Trendwende von staatlich verabreichtem Heroin. Wie in Zürich. Dann muß der Drogensüchtige seine Zeit nicht mehr mit der Jagd nach dem Stoff verbringen. Etwa 20 Prozent aller Vergehen und Verbrechen sind Beschaffungskriminalität. Die würde dann zurückgedrängt. Ebenso wie die gesundheitliche und soziale Verelendung. Das Suchtproblem bliebe zwar bestehen. Aber das ist polizeilich nicht lösbar.“
Hans Dieter Klosa, Polizeidirektor Hannover: „Seit Amtsantritt habe ich mich für Heroingaben an Schwerstabhängige eingesetzt. Die bisherige Drogenpolitik hat in die Sackgasse geführt. Wir schlagen uns vor allem mit Beschaffungskriminalität herum. Wir können uns aber nicht damit abfinden, daß ein hoher Prozentsatz der Kriminalität durch Beschaffungstaten verursacht wird. Bei den Raubüberfällen gehen heute 60 Prozent auf das Konto der Drogenabhängigen. Und das nur wegen einer falschen Politik.“
Volker Haas, Polizeidirektor Stuttgart: „Die Bekämpfung des illegalen Angebots von Rauschgiften kann nur Erfolg haben, wenn durch ärztliche Versorgung der Drogenkranken die Nachfrage entscheidend reduziert wird. Eine Rechtslage und eine Politik, in deren Bilanz jährlich Hunderte von Toten stehen, dient nicht den Menschen und muß geändert werden.“ Haas hat wegen diesen Äußerungen wiederholt Probleme bekommen. Er sagt zum Thema nichts mehr, aber: „Ich habe meine Meinung nicht geändert.“
Dierk H. Schnitzler, Polizeipräsident Bonns: „Mit noch so viel Repression machen wir den Drogenmarkt nicht kaputt. Eher steigern wir den Preis. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, Abhängigen, die Kranke sind, zu helfen. Methadon beseitigt für die Abhängigen nur die Entzugsfolgen, löst aber nicht das Problem. Aber den sauber eingestellten Abhängigen unter ärztlicher Kontrolle kann die Gesellschaft wieder an ein sozial akzeptables Leben heranführen.“
Ernst Uhrlau, Polizeipräsident in Hamburg: „Neben der Forcierung gesetzlicher Regelungen zur medizinisch-kontrollierten Heroinverschreibung an Schwerstabhängige ist die Einrichtung von Gesundheitsräumen mit klarem rechtlichen Status ein notwendiges Angebot der Drogenhilfe, um der Verelendung der Drogenkonsumenten zu begegnen, sie der offenen Szene zu entziehen und sie zur Inanspruchnahme weitergehender therapeutischer und sozialfürsorgerischer Hilfen zu motivieren.“
Manfred Rommel (CDU), Ex-Oberbürgermeister Stuttgarts: „Polizeiliche Verfolgung reicht in der Drogenpolitik nicht aus. Man muß sehen, wie man an Süchtige herankommt, wie man sie zur Abstinenz bringt. Aber man muß auch überlegen, ob man ihnen nicht besser Heroin verabreichen soll, statt sie auf der Straße rauben und sterben zu lassen. Das Schweizer Modell sollte auch bei uns eingeführt werden.“
Gerhard Seiler (CDU), Oberbürgermeister Karlsruhes: „Ich unterstütze die Initiative mehrerer Großstädte, die sich in der „Karlsruher Resolution“ im Sinne einer humaneren Drogenpolitik dafür eingesetzt haben, ein kontrolliertes Heroinmodell unter staatlicher Aufsicht und wissenschaftlicher Begleitung zu ermöglichen. Um Leiden der Betroffenen und Auswirkungen auf die Allgemeinheit zu minimieren, dürfen wir keinen Weg unversucht lassen. Drogenhilfe eignet sich nicht zur ideologischen Auseinandersetzung.“
Ulrich Goll (FDP), Justizminister Baden-Württembergs: „Eine Änderung in der Drogenpolitik ist aus Gründen der Menschlichkeit und der Sicherheit notwendig. Die Erfahrungen in der Schweiz mit Fixerstuben und einer kontrollierten Heroinabgabe haben gezeigt, daß sowohl die soziale Stabilität der Abhängigen steigt als auch die Beschaffungskriminalität zurückgeht. Wir müssen erreichen, daß es auch in Deutschland für Städte ermöglicht wird, andere Wege im Umgang mit ihren Abhängigen gehen zu können.“
Heribert Thallmair, Präsident Deutscher Städte- und Gemeindebund: „In Modellprojekten, bei denen unter ärztlicher Aufsicht Rauschgifte verabreicht werden, sollten wir versuchen, den Teufelskreis des Drogenkonsums zu sprengen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert die Bundesregierung, die Länder und die Sozialleistungsträger auf, durch Kürzungen die Pflege- und Behandlungsmöglichkeiten nicht zu gefährden und eine niedrigschwellige und flächendeckende Substitution sicherzustellen.“
Dieter Thomae (FDP), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundestages: „Wenn nichts anderes hilft, kann auch die Abgabe von Drogen bzw. Ersatzdrogen durch Ärzte zu Behandlungs- oder Überbrückungszwecken erforderlich sein, als letztes Glied in einer Kette von Hilfsmaßnahmen. Aber ich möchte ausdrücklich betonen: Die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige darf nur unter strengstens kontrollierten Bedingungen erfolgen und auch nur dann, wenn eine Methadon- Substitution nicht in Frage kommt.“
Rolf Hüllinghorst, Deutsche Hauptstelle für die Suchtgefahren (DHS): „Das Repertoire der Hilfsmöglichkeiten muß ergänzt werden durch die ärztlich kontrollierte Vergabe von Heroin und das Spritzen unter medizinischer Aufsicht. Ich bin für die Heroinverordnung durch den Arzt. Aber nur unter strikten Vorgaben.“
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): „Die repressive Drogenpolitik ist gescheitert. Der Drehtüreneffekt zwischen Polizeipräsidium, Justiz und Straße führt weder zu einer Verbesserung der Situation von Süchtigen noch zu einer Verbesserung für die Gesellschaft. Deswegen muß eine vierte Säule in der Drogenpolitik, die Überlebenshilfe, geschaffen werden. Dazu gehören die gesetzliche Absicherung sogenannter Konsumräume und die ärztlich kontrollierte Verabreichung von Heroin nach Schweizer Modell.“
Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer: „Die Bundesärztekammer begrüßt eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes mit dem Ziel, das Behandlungsspektrum zu erweitern. Voraussetzungen für die ärztliche Vergabe von Heroin an Schwerstabhängige sind: langjährige chronifizierte Opiatabhängigkeit, Abbruch mehrerer Therapieversuche, akute Gefahr gesundheitlicher Schäden oder sozialer Verelendung, begleitende Forschung und Maßnahmen zur Verhinderung des Beigebrauchs von Suchtmitteln.“
Petra Roth (CDU), Oberbürgermeisterin Frankfurts, Präsidentin des Deutschen Städtetages: „Die methadongestützte Drogenhilfe, die Konsumräume und die ausstiegsorientierten Angebote der Beratungs- und Therapieeinrichtungen haben nicht nur zu einer Verbesserung des gesundheitlichen und sozialen Lebens von langjährig Abhängigen geführt, sondern auch zu einer Verbesserung der sicherheitspolitischen Situation in Frankfurt. Die Zahl der Drogentoten ist von 1991 bis 1997 von 147 auf 22 zurückgegangen.“
Albrecht Glaser (CDU), Stadtkämmerer und Gesundheitsdezernent Frankfurts: „Uns geht es um die Linderung von Leiden. Die Schweizer Versuche sind im Grundsatz positiv: Die medizinisch kontrollierte Abgabe von Heroin ist ein Einstieg in einen therapeutischen Prozeß. Deshalb bin ich für das Modell.“
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