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Der Teddy-Prozeß Von Carola Rönneburg

Das Thema, das zum Teddy-Prozeß führte, kam eines Abends am Küchentisch zur Sprache. „Mein erster Teddy“, erzählte Otto, „war ein ,Bärenmarke‘-Teddy. Ich hatte ihn bei einem Preisausschreiben gewonnen. Er war plüschig und mit Watte gefüllt. Aber er hatte eine harte Nase.“ Und genau deshalb, sagte Otto, sei sein Verhältnis zum Bärenmarkenteddy ein zwiespältiges gewesen – sein älterer Bruder habe die harte Nase gezielt bei körperlichen Auseinandersetzungen der Geschwister eingesetzt. „Irgendwie verlor der Bär dadurch sein Image.“

Hannas Teddy war „rundum kuschelig“, wurde jedoch „mit einer fadenscheinigen Begründung“ konfisziert, erinnerte sie sich. Hier behauptete die ältere Schwester plötzlich, der Teddy gehöre eigentlich ihr. „Du hast doch des Mümmele“, zitierte Hanna ihre Schwester, immer noch empört, und fügte kurz hinzu, beim „Mümmele“ handele es sich um einen schlafenden Hasen. Beim Stichwort Teddyverlust stieg auch ich ein: Mein erster Teddy wurde mir nämlich gestohlen. Auf der Toilette eines spanischen Campingplatzes, wo er, zwischen zwei Waschbecken geklemmt, im Vorraum auf mich wartete. Als ich zurückkam, war er fort. Alle schüttelten die Köpfe. „Wie kann man bloß einen Teddy klauen?“

Horst munterte uns wieder auf. Sein Teddy, der bei einem mysteriösen Unfall Feuer gefangen hatte, war von seiner Mutter gerettet worden. „Wie kann ein Teddy Feuer fangen?“ fragte Otto nach. „Meine Mutter wollte ihn mit den Abfällen verbrennen“, erklärte Horst. „Einen Teddy verbrennen?“ Ja, sagte Horst, seine Mutter habe geglaubt, der Teddy sei überflüssig geworden. Sie habe ihn dann ja aber wieder herausgeholt, mit bloßen Händen. „Da war sie eine Heldin für mich.“

Wir nickten. Und dann war Daniel an der Reihe. Auch seine Mutter hatte das Kuscheltier ausgemustert. „Ich kam von der Schule nach Hause, und da lag er in der Mülltonne. Obenauf.“ Natürlich holte Daniel den Teddy sofort zurück und stellte seine Mutter zur Rede. „Sie fand, ich sei zu alt für einen Teddy. Und dann mußte ich ihn wieder in die Tonne werfen.“ Für einen Moment herrschte Sprachlosigkeit. Dann heulten und kreischten wir alle durcheinander und wunderten uns, daß aus Daniel kein Verbrecher geworden ist. Nachdem sich der Aufruhr gelegt hat, beschlossen wir jedoch, die Vernunft walten zu lassen. Gab es, aus Erwachsenensicht, ein nachvollziehbares Motiv für den Teddymord? Das Wort hatte die Verteidigung, Klaus übernahm als erster die Rolle des Advocatus Diaboli. „Ein Teddy ist auch ein Infektionsherd“, dozierte er. „Sie hatte medizinische Gründe.“ Ein schwaches Argument, fanden wir. „Sie wollte einen neuen Teddy anschaffen, dafür mußte der alte seinen Platz räumen“, spekulierte ich. Hierfür lägen keine Beweise vor, widersprach Hanna und mutmaßte ihrerseits: „Sie wollte ihrem Sohn verdeutlichen, daß sie ihn nicht mehr wie ein Kind behandeln würde.“ Nun kam es zu tumultartigen Szenen. „Winkeladvokatin!“ rief Otto. „Täterinnenschützerin!“ Ich drohte, den Saal räumen zu lassen, und plädierte für eine rasche Urteilsfindung: Wir einigten uns auf „niedere Beweggründe“.

Danach diskutierten wir, wieviele Kuscheltiere man in den Urlaub mitnehmen darf.

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