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Keine neue Gralshüterin

Gabi Behler löst in Nordrhein-Westfalen Anke Brunn ab, die langjährige Frontfrau der SPD gegen Studiengebühren. Schule und Hochschule in einem Ressort  ■ Von Isabelle Siemes

Düsseldorf (taz) – Wer die große Blonde mit dem akkuraten Kostüm sieht, gedeckte Farben bevorzugt, wundert sich erst mal. Daß eine solche Dame sich auf Benjamin und Adorno beruft, wenn es um die künftige Rolle der Geisteswissenschaften geht. „Wenn die Ökonomie dominiert, ist es wichtig, Gegenwelten aufzubauen und nach der Legitimität dessen, was geschieht, zu fragen“, fällt Gabriele Behler schon mal zurück in den Frankfurter-Schule- Jargon ihrer alten Studententage.

Heute ist Gabi Behler (SPD) Bildungsministerin, die erste richtige ihrer Zunft im Lande. Seit vergangener Woche leitet sie in Nordrhein-Westfalen (NRW) das um Hochschule, Wissenschaft und Weiterbildung ergänzte Schulministerium. Als sie noch Studienrätin war, sagt die 47jährige selbstironisch, wäre sie nie darauf gekommen, ihre Karriere an die Spitze des Bildungsressorts im bevölkerungsstärksten Bundesland zu planen: „Ich bin weiblich sozialisiert.“ Und das ausgerechnet 68 in einem katholischen Mädchengymnasium in Westfalen: „Da war der Höhepunkt ein Sommerfest, bei dem die Antibabypille verteilt wurde.“

Behler, seit 91 im SPD-Landesvorstand, gilt in der Partei als Linke. Solche Zuordnungen findet sie allerdings „anachronistisch“. Der Bezirk Ostwestfalen-Lippe, dem sie seit 88 vorsteht, habe die „Kämpfe zwischen angeblich Rechten und angeblich Linken“ in den 80er Jahren begraben.

Die Bildungsministerin des wichtigsten Landes

Jetzt führt sie eines der größten Ministerien in Wolfgang Clements neuem, schlanken Kabinett. Der neue Regierungschef dampfte die 12 bisherigen Ressorts auf acht ein. Wichtigstes Ziel der neuen Bildungsministerin sei mehr Selbständigkeit – von Schulen und Universitäten. In den letzten drei Jahren forcierte sie als Schulministerin die Autonomie der Schulen, also ein größeres Mitspracherecht bei Lehrereinstellungen und Finanzentscheidungen. „Dabei stößt man schnell an die Grenzen des öffentlichen Dienstrechts“, muß die Reformpolitikerin allerdings erkennen. Dennoch will sie diesen Kurs vorantreiben – auch an den Hochschulen. Eine Zukunftsfrage, betont Behler, denn staatlich finanzierte, öffentliche Einrichtungen sollen „sich selbst entwickeln, damit sie als Qualitätseinrichtungen akzeptiert werden.“

„Ich will nicht den Weg der meisten industrialisierten Staaten gehen: ein eher ärmliches öffentliches und ein hochangesehenes, hochfinanziertes privates Schulwesen, wie etwa in England, Frankreich und USA“. Das öffentliche Bildungswesen müsse den Nachweis erbringen, sagt die neue Frontfrau der sozialdemokratischen Kultusminister, daß seine Ergebnisse genauso gut seien, wie die in privaten, elitären Einrichtungen. Ein erster Schritt für diesen Nachweis ist der Globalhaushalt an Universitäten: Sie erhalten einen Gesamtetat, den sie eigenständig verteilen sollen. Doch diese Verteilung sei so zu kontrollieren, daß die „Qualität und Effektivität“ der Lehre gesichert sei. Konkrete Pläne will Behler erst nach der Sommerpause vorstellen. Das wird allerdings nicht ohne Einschnitte für die Professoren gehen – was sie jedoch nicht stört: „Ich habe größere Schritte vor, das geht an Besitzstände“.

Absurd, jetzt über Gebühren zu reden

„Über Studiengebühren zu diskutieren, wenn die Studenten nicht die Möglichkeit haben, finanziell abgesichert ein Studium zu machen, halte ich für absurd“, gibt sich die Neue im Wissenschaftsministerium auch beim Thema Studiengebühren kämpferisch. Aber es klingt eine Spur differenzierter als bei ihrer Vorgängerin Anke Brunn, die als die Gralshüterin des unbezahlten Studiums galt. Behler geht schnell weiter zu anderen Themen, zur Verbesserung der Studienbedingungen, zum Teilzeitstudium. Und zieht sich im übrigen auf den Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung in NRW zurück, der Studiengebühren verbietet. Anke Brunn argumentierte da grundsätzlicher, etwa mit einem Dekalog gegen Studiengebühren.

Auch in der Frauenförderung will die ehemalige Abteilungsleiterin im Gleichstellungsministerium weiterkommen. Die bisherigen Ergebnisse seien „mehr als ärgerlich“. Die Zahl von Frauen in hohen Positionen sei noch immer nicht gestiegen. Behlers Lösung: Frauenförderung belohnen. Je mehr Dozentinnen und Professorinnen, desto mehr Geld für Forschung und Lehre. Auf alte sozialdemokratische Gedanken beruft sich die Bielefelderin etwa, wenn es um den Leistungsgedanken geht: Zunächst einmal müsse jeder die Chance haben, Leistung zu zeigen – unabhängig von Status, Herkunft und Elternhaus.

Aber auch wenn die ehemalige Geschichts- und Germanistikstudentin sich auf Benjamin bezieht – dessen Kritik an der Sozialdemokratie teilt sie nicht. Realpolitisch stellt sie die kleinen Schritte vor die großen Systemfragen. „Ich war immer reformistisch“, begründet sie ihren Eintritt in die Politik.

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