: Draufschlagen, reintreten, weglaufen
Gestern wurde in Magdeburg der Prozeß gegen vier Rechtsradikale eröffnet, die einem 23jährigen den Schädel zertrampelten. Die Staatsanwältin spricht von „gemeinschaftlich versuchtem Totschlag“, die Täter spielen brave Jungs und grinsen sich einen ■ Von Constanze v. Bullion
Muttis Lieblinge haben sich mächtig herausgeputzt. In tadellos gebügelten Hemden, mit gewienerten Springerstiefeln und ordnungsgemäß geschorenem Haar, erschienen die Fans. Ganze drei Glatzen fanden sich gestern im Landgericht Magdeburg ein, mehr ließen sich nicht zusammentrommeln, um den vier Kameraden auf der Anklagebank den gebeugten Rücken zu stärken.
Andreas L., Marco G., Enrico K. und Daniel G. werden des gemeinschaftlich versuchten Totschlags an einem Jugendlichen aus der linken Szene Magdeburgs beschuldigt. Und auch ihre blütenweißen Pullunder können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei den jungen Herren nicht eben um Musterschüler handelt. Gestanden haben sie längst. Am 3. Januar dieses Jahres ertränkten die stadtbekannten Glatzen aus Magdeburg-Olvenstedt ihre verkaterten Gehirne mal wieder in mehreren Litern Bier. Andreas L., 21, soll die zündende Idee für einen Überfall auf die Wohnung von Peter Böttcher gehabt haben. Der Lehrling, auf den die Clique es abgesehen hatte, ist der Bruder des Punks Frank Böttcher, den Rechtsradikale 1997 erstachen. Man habe Peter Böttcher „eine Lektion erteilen“ wollen, erklärten die Täter nach der Festnahme. Weil der Bruder des Mordopfers an besagtem Abend nicht zu Haus war, fiel die rechte Clique über seine Freunde her, die dort vor dem Fernseher saßen.
Daß die Sache keine zufällige Schlägerei im Suff war, sondern „aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes“ eingefädelt wurde, bezweifelt Staatsanwältin Ina Wagner nicht. „Hier wurde gemeinschaftlich versucht, einen Menschen zu töten“, erklärte sie gestern in der Verhandlung. In der Tatnacht soll Andreas L. zwölf Kumpels abgeholt haben und mit ihnen nach Magdeburg-Cracau gefahren sein. Peter Böttcher wohnte im Erdgeschoß eines zweistöckigen Mietshauses, und als Marco G. die Haustür eintrat, flohen die Überfallenen durchs Fenster.
Ihrem Opfer Gordon G., der als letzer entkam, lauerten die rechten Kameraden zwischen den Wäscheleinen des Hofes auf – zu dreizehnt. Laut Anklage warfen Andreas L. und Daniel G. ihn zu Boden, Marco soll das Opfer an den Haaren nach oben gezogen und ihm „mit zwei gezielten Faustschlägen ins Gesicht geschlagen“ haben. Enrico K., zur Tatzeit 16jähriger Schüler, soll schließlich „mehrfach auf Kopf und Oberkörper eingetreten“ haben, die Springerstiefel mit den blutverschmierten Stahlkappen wurden als Beweisstücke sichergestellt.
„Offener Mittelgesichtsbruch und mehrfacher Schädelbasisbruch mit Hirnwasserabfluß“ lautete eine von vielen Diagnosen, die dem überlebenden Gordon G. gestellt wurden. Der 23jährige, dem Mediziner bleibende Schäden prophezeiten, tritt im laufenden Prozeß als Nebenkläger auf.
Daß die Angeklagten glimpflich davonkommen, bezweifeln selbst ihre Anwälte. Einen mildernden Umstand dürfte bestenfalls der Promillepegel darstellen. Denn von gesellschaftlichen Außenseitern kann bei den vier Rädelsführern keine Rede sein. Der 16jährige Daniel G. machte zur Tatzeit eine Lehre und habe, so sein Anwalt, ein „relativ stabiles Elternhaus“. Auch bei Marco G. sei „alles geordnet“, heißt es. Vor Gericht gibt sich der 21jährige Gebäudereiniger zerknirscht – schließlich sitzt seine Mutter hinten im Saal. Enrico K. dagegen, ein schmächtiges Kerlchen mit großen Geltungsbedürfnis, versucht es mit frechem Grinsen, der 16jährige ist den Behörden sattsam bekannt. „Viel Positives wird es hier wohl nicht zur berichten geben“, sagt Anwalt Perry Andrae. Sein Mandant Andreas L., der während der Prozeßeröffung bockig vor sich hinstarrt, gilt als Kopf der Bande. „Mit sechs bis sieben Jahren“, meint sein Verteidiger, „muß der schon rechnen.“
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