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Der Ort, an dem du weinen wirst

Westafrikas entlegenste Ecke treibt in den Krieg. Eine alte Rebellion in Senegal war Mitauslöser der Wirren, die nun das benachbarte Guinea-Bissau erfaßt haben. Alte Ressentiments schüren den neuen Konflikt  ■ Aus San Domingo Thomas Baur

Africa maluko: choma Policia“ – „Afrika ist verrückt, hol doch die Polizei“, brüllt es in schrägem Kreol aus den Lautsprecherboxen. Es ist Samstagnacht, und in der Dorfdisko von San Domingo legen die Teenager einen Zahn zu. Der HipHop-Song trifft ihr Lebensgefühl.

Der sarkastisch gemeinte Ruf nach der Ordnungsmacht schallt auch zu den nahen Grenztruppen von Guinea-Bissau. Sie sollen im Busch die Aktionen der Guerillabewegung „Mouvement des forces démocratiques de Casamance“ (MFDC) unterbinden, die im Süden des Senegal gegen die dortige Regierung kämpft und in Guinea- Bissau Rückzugsgebiete hat. Ob die Grenztruppen allerdings willens sind, wird allgemein bezweifelt. Im Volksmund heißen die Uniformierten „dünne Männer“, weil ihr Sold hinten und vorne nicht zum Überleben reicht.

Die wirkliche Misere spielt sich jenseits der nur wenige Kilometer entfernten Grenze ab. „15 Jahre Terror in der Casamance“ titelte amnesty international kürzlich ihren Bericht über Senegals südliche Unruheregion. Grausame Repressalien der Armee gegen die aufmüpfige Volksgruppe der Diolas werden aufgezählt. Und auch die MFDC ist bei ihren Aktionen alles andere als zimperlich.

Eine neue Welle der Gewalt in der Casamance flammte im vergangenen August auf, als Rebellen eine Armee-Einheit in einen Hinterhalt lockten und 25 Soldaten töteten. Kurz darauf wurde MFDC- Führungsmitglied Sarani Badian festgenommen, seither ist er spurlos verschwunden. Wer kann, flüchtet seitdem aus der Kampfzone zwischen der Provinzhauptstadt Ziguinchor und der Atlantikküste. Bevor der aktuelle Konflikt in Guinea-Bissau losbrach und eine Fluchtwelle nach Senegal trieb, waren nach UNHCR-Schätzungen 10.000 bis 16.000 Menschen aus Senegal nach Guinea- Bissau geflohen.

In dieser Entwicklung liegt eine Wurzel des Konflikts in Guinea- Bissau, bei dem Senegal militärisch eingegriffen hat. Denn um Zustände wie im Ruanda-Konflikt zu verhindern, als sich ruandische Rebellen im Schutz von Flüchtlingslagern in Zaire neu formieren konnten, sollte die Regierung von Guinea-Bissau die Flüchtlinge aus der Casamance registrieren und weitab von der Grenze ansiedeln, fein säuberlich getrennt von Schmugglern und Guerillakontakten. Doch bereits die erste Aktion scheiterte kläglich. Das Gerücht ging um, sämtliche vom UNHCR Erfaßten würden deportiert und sofort erschossen. Am Tag des Zählappells waren alle Flüchtlinge im Busch verschwunden.

Zwei Tagesreisen südlich der Krisenregion an der Grenze, auf der Ferieninsel Bubaque südwestlich der Hauptstadt Bissau, haben bereits Hunderte Senegalesen eine neue Heimat gefunden. Moussa Titi, Besitzer eines kleinen Ladens, kam Anfang der neunziger Jahre hierher. Er spricht aus, was viele seiner Landsleute insgeheim denken: „Die Casamance gehört zu Guinea-Bissau.“ Wegen der ethnischen Bindungen und des Kreols als gemeinsamer Sprache. Der skurrile Mix aus Portugiesisch und einheimischen Dialekten ist die einzig relevante Hinterlassenschaft der Kolonialmacht.

Für Mamadou Sané, Kampfname Nkrumah, ist ein Anschluß der Casamance an Guinea-Bissau dagegen kein Thema. Man kämpfe für Autonomie, erklärt der stellvertretende MFDC-Generalsekretär im Exil in Bissau. Schließlich gehe es um „die Befreiung eines ganzen Volkes“. Auch in Afrika, fügt er jedoch hinzu, seien Grenzen „nicht für ewig festgeschrieben“.

Neuerdings vermint die MFDC die Straßen der Casamance. Jetzt rächt sich, daß Senegals Regierung keinen CFA-Franc in das Straßennetz im Süden investierte. Weil sogar die wichtigsten Verkehrsachsen mit Schlaglöchern gepflastert sind, haben die Rebellen beim Minenverlegen leichtes Spiel. Dazu kommen Feuerüberfälle. Wer aus Guinea-Bissau in die Casamance reist, bekommt hilfreiche Tips: „Sitze in der Mitte, da hast du die besten Überlebenschancen.“

Kaum hat sich der Schlagbaum des Grenzpostens M'Pack zwischen San Domingo und Ziguinchor geöffnet, zerren die senegalesischen Soldaten zwei junge Männer aus dem Sammeltaxi. Junge männliche Angehörige des Diola-Volkes gehören zu den üblichen Verdächtigen, auch wenn sie nur, wie in diesem Fall, billigen Fusel über die Grenze bringen. Nach einstündigem Verhör hinter einem Sandsackunterstand dürfen die beiden gehen. Ziguinchor – auf deutsch „der Ort, an dem du weinen wirst“ – empfängt seine Besucher mit Schützenpanzern und Maschinengewehrstellungen.

Wer diesen Krieg hinterfragt, wird auf ethnische und soziale Ursachen verwiesen: etwa auf die Ressentiments der muslimischen Oberschicht aus dem Wolof-Volk gegen die mehrheitlich animistischen Diolas, die als finstere Hinterwäldler und notorische Palmweintrinker gelten. Die Sicht der Diolas dokumentierte der georgische Filmemacher Otar Iosseliani 1989 in seinem Film „Und es ward Licht“: Heilige Bäume werden mit Kettensägen gefällt, am Ende stöckelt die Hauptdarstellerin als Kokotte durch Ziguinchor, während falsche Fetische an europäische Touristen verhökert werden.

Dazu kommen die absurden Folgen der Kolonialzeit. Zwischen 1482, als Portugiesen in San Domingo die erste europäische Ansiedlung errichteten, und 1886, als die Casamance endgültig Teil des französischen Senegal wurde, wechselte die fruchtbare Region rund ein Dutzend Mal den europäischen Besitzer und ist heute zwischen dem einst britischen Gambia und dem einst portugiesischen Guinea-Bissau eingezwängt.

San Domingo lebt vom Grenzhandel. Am späten Vormittag erreichen die ersten völlig überfüllten Sammeltaxen den Ort. Gegenüber vom Zollbüro serviert Francisca in einer windschiefen Bude Gazellengulasch, hartgekochte Eier und Bier aus der Kühlbox. Manchmal, erzählt sie, versorgt sie auch Ankommende, die beim Grenzübertritt von senegalesischen Soldaten krankenhausreif geschlagen wurden.

Viele Leute wählen lieber verschlungene Wege durch Mangrovensümpfe und übermannshohes Steppengras, die auch die MFDC- Guerilla nutzt – Nachschubwege, die Senegals Armee jetzt zu kappen versucht. Unmittelbarer Auslöser der heutigen Krise war der politische Skandal, der in Guinea- Bissau losbrach, als herauskam, daß große Mengen Minen und Kalaschnikows aus den Beständen von Guinea-Bissaus Armee zu den Casamance-Rebellen gewandert waren. Zur Beschwichtigung suspendierte Staatschef Joao Vieira einen Tag vor seinem Staatsbesuch in Frankreich seinen Armeechef Ansoumane Mané. Der fühlte sich als Bauernopfer und drohte mit „Enthüllungen“. Am 7. Juni eskalierte der Streit: Unter Führung von Mané besetzten Teile der Armee den Flughafen und Kasernen am Rande der Hauptstadt Bissau. Vieira erhielt militärischen Beistand von Senegal und Guinea.

Der Waffendeal war nur vordergründig der Anlaß für den Streit. Präsident Vieira, ehemaliger Marxist und Gefährte des legendären Befreiungsideologen Amilcar Cabral im Krieg gegen die portugiesischen Kolonialherren bis 1975, gilt im Land längst als korrupter Handlanger Senegals. So zog Senegal letztes Jahr sein Veto gegen Guinea- Bissaus Beitritt zur westafrikanischen Währungsunion erst auf Vieiras Zusage hin zurück, künftig aktiv am Kampf gegen die MFDC- Rebellen mitzuwirken. Damit avancierte Guinea-Bissau zu Senegals Hinterhof – und nun schützen Truppen aus Senegal Vieira direkt.

Senegals Regierung befürchtet, daß Manés Armeerebellen mit der MFDC gemeinsame Sache machen. Die Casamance-Rebellen haben sich bereits mit kampferprobten Veteranen aus Guinea- Bissaus Befreiungskrieg verstärkt. Bis heute kursiert in Guinea-Bissau eine Dolchstoßlegende, wonach der 18jährige Kampf viel schneller und unblutiger verlaufen wäre, wenn der senegalesische Nachbar geholfen hätte. Wirklich solidarisch hätten sich nur die Diolas in der Casamance verhalten, die ihre Dörfer mit der bissauischen Guerilla geteilt hätten, erinnert sich Innenstaatssekretär Vincente Poungoura, der dort als junger Mann Unterschlupf fand. 25 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Nur die Fronten haben gewechselt.

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