AKW-Sicherheitsventil war wochenlang abgesperrt

■ Atomexperte: Störfall im AKW Unterweser Anfang Juni war viel gravierender als bisher angenommen. Reaktor darf mindestens bis Ende Juli nicht wieder hochgefahren werden

Hannover (taz) – „Lücken im AKW-Sicherheitssystem, gravierende Defizite bei der Qualifikation des Kraftwerkspersonals und in der Organisation der Arbeitsabläufe“ sind nach Auffassung des Atomexperten Lothar Hahn bei dem Störfall deutlich geworden, der sich vor zwei Wochen im niedersächsischen AKW Unterweser ereignet hat. Bei der Panne war ein Teil einer wichtigen Sicherheitseinrichtung vorschriftswidrig von Hand abgeschaltet und nicht wieder angestellt worden.

Lothar Hahn, der als Physiker am Darmstädter Öko-Institut arbeitet, spricht deswegen inzwischen vom „gravierendsten AKW- Störfall, der sich seit zehn Jahren in der Bundesrepublik ereignet hat“. Zwar ist bei dem Ereignis, das auf der siebenstufigen internationalen Störfallskala am 6. Juni zuerst mit Stufe eins, später mit Stufe zwei bewertet wurde, keinerlei Radioaktivität freigesetzt worden. Dennoch hat die Atomaufsicht im niedersächsischen Umweltministerium dem Kraftwerk bei Esenshamm nunmehr eine längere Sicherheitspause verordnet.

Mindestens bis Ende Juli soll das AKW Unterweser abgeschaltet bleiben. Bis dahin sollen der TÜV und die Reaktorsicherheitskommission den Störfall begutachten und einen Maßnahmekatalog erarbeiten, der künftig solche gefährlichen Bedienungsfehler verhindern soll.

Nach Angaben des Umweltministeriums in Hannover hat das Kraftwerkspersonal am 6. Juni „nacheinander mehrere Fehler gemacht, an denen verschiedene Personen beteiligt waren“. Bei der Suche nach einem Leck im Turbinenölsystem führte ein Fehler des Personals zum einem rapiden Druckanstieg im Dampferzeuger. Lothar Hahn zufolge hat man dann nach einer Schnellabschaltung von Turbine und Kraftwerk die weiter entstehende Wärme in den Kondensator des Kraftwerks umgeleitet, was aber nicht funktioniert habe.

In einem solchen Fall könne die Nachzerfallswärme nur „über das Ablassen von Frischdampf abgeführt werden“, sagte Hahn. Genau dies sei im AKW Unterweser auch geschehen.

Nach dem Störfall stellte sich allerdings heraus, daß eines der vier Sicherheitsventile beim Dampfablassen nicht betriebsbereit, also geschlossen gewesen war.

„Schaudern“ ließ den Kraftwerksexperten Hahn vor allem die Ursache für dieses gesperrte Sicherheitsventil. Es war bereits bei Wartungsarbeiten im Monat Mai geschlossen worden. Absperren läßt es sich nur mit Hilfe eines speziellen Schlüssels, der beim Betrieb des Kraftwerkes immer in einem Schlüsselkasten auf der Steuerwarte hängen muß. Vom Fehlen des Schlüssels und damit vom geschlossenen Ventil hat das Kraftwerkspersonal wochenlang keine Notiz genommen.

„Da fehlte es an Aufmerksamkeit. Das hätte einfach gesehen werden müssen“, kritisierte auch die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums. Nun soll von ministerieller Seite auch besonders „die Fachkunde des Kraftwerkspersonals überprüft“ werden.

Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Rebecca Harms, die in der vergangenen Woche als erste auf den Störfall aufmerksam gemacht hatte, liegt die Ursache des menschlichen Versagen allerdings in der Unternehmenspolitik der PreussenElektra, „die bei der Verschlankung ihres Unternehmens auch kräftig Kraftwerkspersonal abbaut“. Jürgen Voges