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Politisch geht in den USA nichts mehr. Nach einer mehrwöchigen erbitterten Debatte über einen Gesetzesentwurf zur Eindämmung des Rauchens wurde dieser zu einer Abstimmung erst gar nicht zugelassen. Dabei fehlte dem von Bill Clinton unterstützten Tabakgesetz weder die parlamentarische Mehrheit noch die Zustimmung der Öffentlichkeit. Zu Fall gebracht haben das Vorhaben die Tabaklobby und die Sonderinteressen einzelner Politiker. Aus Washington Peter Tautfest

Demokratie gefährdet den eigenen Vorteil

Der glanzlose Tod des Tabakgesetzes im US-Senat belegt zweierlei: die Gültigkeit einer alten Weisheit und eine neue, beunruhigende Erkenntnis. Daß Geld die Welt regiert, ist nichts Neues und bewahrheitet sich nicht nur in den USA. Am morgen nach dem Scheitern des Tabakgesetzes aber schält sich eine ernüchternde Wahrheit heraus: Politisch geht in Amerika nichts mehr, größere Gesetzesvorhaben sind zum Scheitern verurteilt.

An der Zustimmung der Öffentlichkeit mangelte es nicht. Der Versuch, die Tabakindustrie stärker zu besteuern und von diesem Geld Projekte und Programme zu finanzieren, war so populär wie Clintons Gesundheitsreform (1994) und so mehrheitsfähig wie dessen gescheiterte Energiesteuer ('93). Das Vorhaben wurde als genauso wichtig empfunden wie die Reform der zur Zeit debattierten Wahlkampffinanzierung und die Eindämmung des Waffenbesitzes.

Dem Tabakgesetz fehlte nicht einmal die parlamentarische Mehrheit. Es scheiterte an einer Verfahrensfrage. Die Führung der republikanischen Mehrheitsfraktion wandte wie im Falle des Gesetzes zur Reform der Parteienfinanzierung einen Verfahrenstrick an, um die vom republikanischen Senator John McCain eingebrachte Vorlage erst gar nicht zur Abstimmung kommen zu lassen. Das Ganze war eine Posse, die gleichermaßen Beleg für die Führungsschwäche der politischen Klasse in den USA sowie für die Unregierbarkeit des Landes ist.

Das Tabakgesetz sollte ursprünglich nur dem Deal, der im Sommer 1997 zwischen Bundesstaaten und Tabakindustrie geschlossen worden war, einen gesetzlichen Rahmen geben. In diesem Handel waren der Tabakindustrie umgerechnet an die 500 Milliarden Mark als Entschädigung der staatlichen Krankenkassen für jene Kosten abgerungen worden, die diesen durch die Behandlung von Raucherkrankheiten entstanden waren. Im Gegenzug für den Batzen Geld und einer Reihe von Auflagen sollte die Industrie vor weiteren Zivil- und Schadenersatzklagen sicher sein.

Rückblickend wird man sagen, daß das ganze Elend damit begann, daß die Legislative sich des Themas überhaupt annahm. Wäre es doch nur bei der Abmachung zwischen Industrie und Bundesstaaten geblieben, die für beide Seiten vorteilhaft war. Zu vorteilhaft für die Tabakindustrie, wie viele glaubten. Bei der Gesetzesvorlage, die im Wirtschaftsausschuß des Senats erarbeitet wurde, ging es nur vordergründig um das, was die Verfasser zu wollen vorgaben: die Reduzierung der Zahl rauchender Teenager. Gewiß, ein Preisanstieg von umgerechnet zwei Mark pro Packung über einen Zeitraum von fünf Jahren hätte Zigaretten vielleicht für Jugendliche zu teuer gemacht. Auch die Auflage, die der Tabakindustrie weitere Strafen in Millionenhöhe für den Fall androhen, daß die Zahl rauchender Jugendlicher nicht abnimmt, sowie das Verbot aller Werbung, die sich an Jugendliche richtet, hätte vielleicht zum Rückgang jugendlicher Raucher geführt.

Aber die kombinierten Steuererhöhungen und Strafen sollten nach der Senatsvorlage viel mehr Geld einbringen als der ursprüngliche Deal. Eine halbe Billion Dollar (zirka tausend Milliarden Mark) sollten über 20 Jahre ein Amerikas Staatskassen fließen. Präsident Clinton hatte das Geld schon für schrittweise Reformen des Krankenkassenwesens sowie für Kindertagesstätten und Schulreformen verplant. Auch die Republikaner hatten schon ein Auge auf das Geld geworfen. Sie wollten damit Steuererleichterungen finanzieren, die sich nicht anders als Clintons Reformpläne im Wahljahr gut hätten verkaufen lassen.

Doch im Senat begann, was für den Gesetzgebungsprozeß in den USA so typisch ist: Zusätze zum Gesetz sollten das Werk allen Abgeordneten schmackhaft machen. So gelangten Paragraphen über die Bekämpfung von Drogen sowie Steuererleichterungen für Freiberufler hinein. Durch ein halbes Dutzend Zusätze, die alle mit Tabak wenig zu tun hatten, dafür um so mehr mit den Sonderinteressen einzelner Senatoren, war inzwischen ein gewaltiges Paragraphenwerk entstanden, das sich wie ein zweites Regierungsprogramm ausnahm. Die Tabakindustrie hatte derweil nicht tatenlos zugesehen. Sie startete eine 40-Millionen-Dollar-Kampagne und überbot damit noch die Anstrengungen der Versicherungsindustrie, die 1993 mit ihrer PR-Offensive Clintons Gesundheitsreform zu Fall gebracht hatte.

Während die Demokraten zusammen mit einer für eine Mehrheit ausreichenden Zahl von Republikanern für das Gesetz war, war die Führung der Republikaner im Senat unsicher, was ihrer Partei im Wahljahr '98 mehr schaden würde: seine Verabschiedung oder Torpedierung. Sollte das Gesetz an ihnen scheitern, gerieten sie in den Verdacht, von der Tabakindustrie gekauft worden zu sein; die hat den Republikanern mehr Wahlkampfspenden überwiesen als den Demokraten. Andererseits konnten sie nicht einschätzen, wie die Anzeigenkampagne der Tabakindustrie letztlich auf die Öffentlichkeit wirken würde.

Das Schicksal der Gesundheitsreform war ihnen eine Warnung. Auch die nämlich war populär gewesen, bevor die Anzeigenkampagne sie als bürokratischen Alptraum an die Wand malte, der Beitragserhöhungen und eine Verschlechterung der Kostenübernahme nach sich ziehen würde. Die Tabakindustrie hat eine breite Koalition aus Getränke-, Bewirtungs- und Tourismusindustrie geschmiedet, die das Tabakgesetz als die größte Steuererhöhung seit Kriegsende verkaufen konnte. Und Steuern sind in den USA noch immer ein Reizwort, mit dem man Wähler gegen Politiker aufbringen kann. Als 1993 eine Koalition aus Republikanern und Demokraten Clintons Krankenkassenreform zu Fall brachte, soll ein Senator gesagt haben: „Jetzt, wo wir das Gesetz gekillt haben, müssen wir dafür sorgen, daß die Spuren der Täter verwischt werden.“ Inzwischen ist dieses Instrumentarium verfeinert worden: Der Tod durch Nichtabstimmung ist wie ein Mord ohne identifizierbare Täter.

Reformvorhaben scheitern in den USA an Sonderinteressen und an antiquierten Verfahrensregeln, an mangelnder Fraktionsdisziplin und vor allem daran, daß Amerikas Politiker nicht willens sind, größere Gesetzgebungsprojekte in Angriff zu nehmen, mit denen sie womöglich Wählern auf die Füße treten könnten.

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