: Operation Spürhund zum Wohle des Westens
Heute vor fünfzig Jahren, am 20. Juni 1948, wurde im westlichen Teil Nachkriegsdeutschlands fast über Nacht die D-Mark eingeführt – gegen den Protest der Sowjetunion. Geplant wurde die Aktion schon Monate zuvor unter konspirativen Bedingungen von den USA. Mit den neuen Geldscheinen wurde die Teilung Deutschlands in BRD und DDR faktisch vollzogen ■ Von Christian Haase
Im Oktober 1947 kabelt der russische Topspion Donald Maclean aus Washington eine brisante Nachricht nach Moskau. Der Inhalt: In den USA wird eine eigene Währung für Westdeutschland gedruckt. Die Geheimoperation „Bird Dog“, Spürhund, ist angelaufen.
Maclean ist bestens informiert, schließlich ist er erster Sekretär der britischen Botschaft in Washington und hat Zugang zu Geheiminformationen des US-Außenministeriums. Mit amerikanischen Diplomaten spielt er öfters Tennis.
Doch auch die Amerikaner spionieren die Notenpressen der Sowjets aus. Sie befürchten, daß ihnen die Gegenseite zuvorkommt. Denn wer zuerst eine neue Währung für das besiegte Deutschland in der Hand hält, kann der anderen Seite im gerade anlaufenden Kalten Krieg die Bedingungen diktieren. Von einer „Quelle“ aus der sowjetischen Notenpresse in Leipzig ergeht Rapport an den US-Finanzgeheimdienst: „Die Sowjets haben bisher keine eigenen Banknoten gedruckt. Ihnen fehlt Wasserzeichenpapier.“
Die Operation Spürhund läuft. In New York und Washington schießen 981 Milliarden Scheine aus den Notenpressen. Sie sehen aus wie Dollarnoten, doch Angaben beispielsweise zum Ausgabeort fehlen ihnen. Noch wissen die Amerikaner nicht, wer von den anderen Besatzungsmächten sich überhaupt an der Währung beteiligen würde. Nur der Name der neuen Währung steht schon fest: Deutsche Mark.
Bei einigen Scheinen sind die Konturen unscharf, bei anderen die Farben nicht einheitlich. Doch das stört nicht, was zählt, ist die Sowjetunion schnell unter Druck zu setzen. Denn deren politische Elite blockiert im Alliierten Kontrollrat seit Ende 1946 die Verhandlungen über eine gesamtdeutsche Währungsreform.
Die Operation „Bird Dog“ leitet ein 26jähriger Leutnant im Finanzstab von General Lucius D. Clay, dem amerikanischen Militärgouverneur in Deutschland. Er heißt Edward A. Tenenbaum. Die Deutschen nennen ihn nur „Tannenbaum“. Vor seinem Job im Nachkriegsdeutschland hat er an der Yale Universität in Connecticut deutsche Wirtschaftsgeschichte studiert.
Den Namen Deutsche Mark denkt er sich mit seiner Frau aus. „Er fragte mich, wie mir der Name Deutsche Mark gefiele“, erinnert sich Jeanette Tenenbaum, „ich sagte, phantastisch, man muß es nur schöner aussprechen. Deshalb sagen wir in Amerika ja auch Deutschmark.“
Die neuen Scheine im Wert von einer halben bis zu hundert Deutschen Mark werden nach dem Druck sofort in unauffällige Kisten verpackt. Adressat: General Clay. In Bremerhaven verladen US-Soldaten die Kisten auf Laster und fahren sie nach Frankfurt. Bis April 1948 rattern die Militärlaster in den Taunus. 23.000 Kisten mit einem Gesamtgewicht von 1.100 Tonnen werden im Keller der ehemaligen Reichsbank eingelagert.
„Ich war überrascht von dem Ausmaß der Aktion“, erinnert sich Colonel George Dawley, Mitglied im Stab General Clays. „Die Kisten waren alle versiegelt. Es gab keinerlei Hinweis auf den Inhalt.“ Von den Beschäftigten des Reichsbankgebäudes kennen nur sechs das „Kellergeheimnis“. Dawley erfährt erst viel später, wie wertvoll seine Fracht war: 10 Billionen, 701 Milliarden, 720 Millionen Deutsche Mark – die geldliche „Erstaustattung“ für ein demokratisches Westdeutschland.
Während in Frankfurt die Keller gefüllt werden, bezahlen die Deutschen noch mit der Reichsmark. Doch die verliert täglich an Wert. In den Läden sind die Regale leer. Eingekauft wird in Parks, Wohnungen und an Straßenecken. Auf dem schwarzen Markt kostet ein Pfund Speck wie auch eine Flasche Schnaps 200 Mark. Ein Brot ist 45 Mark teuer – wofür ein Stahlarbeiter zwei Tage arbeiten muß. Viele Menschen leiden Hunger.
Wer kann, geht hamstern oder versorgt sich selber. Wer einen Garten oder eine Laube hatte, stand besser da als Menschen, die nichts selbst anbauen konnten. Typische Nachkriegsspeisen: Rübenkraut mit Maisbrot, scharf angebrannte Mehlsoßen, Steckrüben, hin und wieder auch durch Frost beschädigte Kartoffeln.
Da die Reichsmark nichts mehr wert ist, tauschen die meisten Zigaretten, Schmuck oder Schnaps gegen Lebensmittel und warme Kleidung. Manche brennen oder ziehen sich ihre eigene Währung: Kartoffelschnaps und Tabakpflanzen.
Auch die Betriebe müssen ihre Waren tauschen: Stahl für Kohle, Fahrräder für Strom, Glühbirnen für Regenschirme. Doch derlei Tauschgeschäfte behindern die Industrieproduktion. Für den Tausch und als Sicherheit werden Waren in Lagern gehortet. Die marode Reichsmark bremst den Aufschwung.
Eine Währungsreform wird für die USA immer wichtiger. Denn seit dem Beginn des Kalten Krieges Anfang 1947 haben sie der westdeutschen Wirtschaft eine besondere Rolle zugedacht. Mit ihrer Hilfe soll Westeuropa als Bollwerk gegen den Sozialismus wiederaufgebaut werden. Die Kapazitäten der britischen und französischen Industrie reichen dafür nicht aus. „Und die Angst, daß Frankreich und Italien dem Kommunismus anheimfallen könnten, mit den großen kommunistischen Parteien, die es dort gab, die war groß“, so der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser.
Doch die Sowjets blockieren die Verhandlungen über eine gesamtdeutsche Währungsreform. Sie bestehen darauf, in eigener Regie Geld zu drucken. In Wahrheit liegt ihnen nicht viel an der Reform, denn sie wollen nicht mit harter Währung, sondern mit Zwangsverpflichtung und Lebensmittelzuteilungen die Wirtschaft in ihrer Zone ankurbeln.
Als die neue Westwährung gedruckt ist, treffen im Alliierten Kontrollrat General Clay und der sowjetische Befehlshaber, Marschall Wassili D. Sokolowski, aufeinander. Clays Poker, mit der neuen Deutschen Mark die Sowjets weichzukochen, geht auf. Sokolowski brummt: „Sie haben das Geld doch schon in ihrer Tasche“, läßt seine Forderung nach Leipzig als zweitem Druckort fallen und erklärt sich bereit, eine gemeinsame Währungsreform in allen vier Besatzungszonen durchzuführen.
Doch nun sind es die US-Alliierten, denen quasi in letzter Minute klar wird, daß eine gemeinsame Währung den Sowjets die Macht geben würde, die westdeutsche Wirtschaft zu beeinflussen. Das teilt das State Department in einem Memorandum vom 10. März 1948 mit und gibt Clay den Auftrag, die Deutsche Mark nur in Westdeutschland einzuführen. Als Noten- und Zentralbank soll die Bank deutscher Länder dienen, die Amerikaner und Briten bereits zum 1. März eingerichtet haben.
Für die Sowjets ist jetzt nicht mehr viel zu holen. Am 20. März zieht Sokolowski demonstrativ aus dem Alliierten Kontrollrat aus. Für die Amerikaner eine günstige Gelegenheit, den Schwarzen Peter für das Scheitern der gemeinsamen Währungsreform den sowjetischen Mitalliierten in die Schuhe zu schieben. Damit brachten die USA ihre Währungspolitik wieder in Einklang mit ihrer Deutschlandpolitik, die durch den beginnenden Kalten Krieg, den Marshallplan und die Festlegung auf die Gründung eines Weststaates geprägt war.
Mitte März 1948 weiß noch kein Deutscher, daß in Frankfurt bereits ein Großteil der neuen Währung lagert und daß deren Einführung bereits beschlossen ist. Doch ganz ohne deutsche Unterstützung wollen die USA die neue Währung nicht einführen. „Tannenbaum“ bestellt daher die elf führenden deutschen Währungsexperten, unter ihnen Otto Pfleiderer und Hans Möller, zu einer Besprechung.
Die meisten von ihnen kennen sich mit Finanzen schon seit der Nazizeit aus. Pfleiderer zum Beispiel war von 1937 bis 1945 Mitarbeiter bei der Reichskreditgesellschaft. In Bad Homburg werden die Experten am 20. April 1948 in einen Bus mit milchigen Scheiben verfrachtet. Hans Möller erinnerte sich in der ZDF-Reihe „Unser Jahr 100“: „Wir hofften, in einer luxuriösen Villa zu landen.“ Doch Endstation ist eine Kaserne in Rothwesten.
Hinter den Deutschen werden die Tore geschlossen. Tenenbaum teilt ihnen mit, daß sie die Gesetzestexte für die Währungsreform übersetzen und Detailfragen ausarbeiten sollen. 49 Tage dauert das Konklave. Viel entscheiden dürfen die Deutschen indes nicht. Statt dessen müssen sie Formulare und Merkblätter entwerfen. Verbittert vermerken sie in ihrem Abschlußprotokoll: „Die drei Besatzungsmächte tragen für die Grundsätze und Methoden der Geldreform in ihren Zonen die alleinige Verantwortung.“
Am Wochenende des 20. Juni 1948 ist es dann soweit. Mitten in der Nacht klingelt bei Colonel George Dawley das Telefon. Aus den Kellern der ehemaligen Reichsbank sollen die 23.000 Geldkisten in die Ausgabestellen für Lebensmittelkarten transportiert werden. Bis Sonntag um acht Uhr müssen Milliarden Scheine abgezählt und griffbereit hinter den Tresen liegen. Im Radio verkündet der Sprecher der amerikanischen Militärregierung, daß die Reichsmark in Westdeutschland nur noch zwei Tage gültig sei.
Doch mit der ist nur wenig zu holen, denn die Händler haben ihre Kostbarkeiten im Keller versteckt. An Reichsmark ist kein Händler mehr interessiert. Nur bei der Bahn gibt es noch Fahrkarten gegen das alte Geld.
Sonntag, 20. Juni, acht Uhr früh. Ein trüber Tag. Die Deutschen drängen sich vor den Ausgabestellen und fiebern auf das Geschenk aus Amerika. Und dann sind für kurze Zeit alle gleich. Jeder erhält vierzig D-Mark. Die Sowjets reagieren prompt: Berlin wird abgeriegelt, schnell wird eine eigene Ostwährungsreform in die Wege geleitet. Auf die Reichsmark werden einfach Kupons geklebt. Die Ostdeutschen nennen ihre neue Währung halb spöttisch „Tapetenmark“.
Ludwig Erhard, damals Wirtschaftsdirektor der amerikanisch-britischen Bizone, später Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, ordnet im Westen die Aufhebung der Preisbindungen an und übernimmt in einer Rundfunkansprache die politische Verantwortung für die Währungsreform. Zu Tenenbaums Tod schreibt er seiner Witwe, daß er selbst und ihr Mann gemeinsam die Währungsreform durchgeführt hätten. Eine dezente Übertreibung. Vom genauen Ablauf hatte Erhard nämlich erst eine Stunde vor Beginn der Währungsreform erfahren.
Schon am 21. Juni zeigen die Aufhebung der Preisbindung und die Währungsreform im Westen Wirkung. Firmen und Einzelhändler räumen ihre Lager, die Schaufenster füllen sich, der Aufschwung scheint über Nacht zu kommen. Die Währungsreform wird zur mythisch verklärten Stunde Null des westdeutschen Wirtschaftswunders. Einer Statistik zufolge gaben auch die Kühe mehr Milch.
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