: Christopher Street Day: Festumzug, Karneval und politische Forderungen
Inmitten von Tausenden ravender CSD-Teilnehmer stellt sich vor allem bei jungen Schwulen und Lesben das angenehme Gefühl ein, die halbe Welt sei homo oder zumindest homofreundlich, womit sich alle Probleme in öffentliches Wohlgefallen aufgelöst hätten. Tatsächlich kann ein Metropolenhomo heute mit ein wenig Dezenz ein weitgehend unbehelligtes Leben führen. Die karnevalesken Umzüge und Feste (Termine siehe unten) täuschen indes über den politischen Anlaß der homosexuellen Feiertage hinweg.
Als „Christopher Street Day“ sind die Veranstaltungen tituliert, weil im Juni 1969 Tunten in der New Yorker Stonewall-Bar an der Christopher Street sich militant gegen Polizeirazzien zur Wehr setzten. Die Krawalle signalisierten: als Schwule und Lesben nicht mehr um Gnade bitten wollen, sondern verweigerte Rechte einklagen.
Während der drei Jahrzehnte seither hat sich in den meisten europäischen Ländern, in den USA und Kanada sowie Australien und Neuseeland das Leben Homosexueller deutlich verbessert; die skandinavischen Staaten haben sich sogar ausdrücklich auf weitgehende Rechtsgleichheit Homosexueller verständigt. In Staaten wie Afghanistan oder Iran, aber auch in der Ukraine, in Usbekistan und Rumänien wird Homosexualität unverändert drakonisch verfolgt.
Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, bezeichnet die Bundesrepublik als „schwulenpolitisches Entwicklungsland“ und skizziert mit dieser Bemerkung den Umstand, daß die seit fast sechzehn Jahren amtierende christliberale Regierung nichts unternommen hat, um Homosexuellen die ihnen zustehenden Minderheitenrechte zuzugestehen. Lediglich auf Länderebene – wo SPD- oder rotgrüne Regierungen das Sagen haben – sind einzelne Gesetzesverbesserungen erreicht worden.
Der Forderungskatalog der CSD-Veranstalter ist lebenspraktisch gehalten – mit Hoffnung auf einen politischen Wechsel im Herbst.
Beispiel Sozialwohnungen: Während unverheiratete Heteropaare ihre Berechtigungsscheine zusammenlegen können, wird dies homosexuellen Paaren in der Regel verweigert. Gravierender noch: Nach wie vor genießen homosexuelle Lebensgemeinschaften keinen rechtlichen Schutz. Vor Gericht besitzen homosexuelle Lebenspartner kein Zeugnisverweigerungsrecht. Bei Krankenhausaufenthalten können Familienmitglieder des Kranken ein Besuchsverbot über dessen Lebenspartner verhängen. Auch im Erbrecht gibt es bislang kaum Möglichkeiten, den hinterbliebenen Partner gegen mögliche Gier seitens der Familie des Erblassers abzusichern.
Die größte Ohnmacht gegenüber staatlicher Reglementierung erleben homosexuelle Paare, vor allem die, bei denen ein Partner aus einem Nicht-EU-Land kommt: Lesben und Schwule haben keine unmittelbare Möglichkeit, den Aufenthaltsstatus ihrer ausländischen Lebensgefährten rechtlich abzusichern.
Es existieren noch weitere Benachteiligungen: Das Recht auf Adoption von Kindern wird homosexuellen Paaren prinzipiell nicht zugesprochen – mit Hinweis darauf, daß Kinder eine Mutter und einen Vater brauchen, dabei mißachtend, daß Kinder vor allem Liebe benötigen. Nach wie vor wird eine künstliche Befruchtung unverheirateter Frauen abgelehnt, lesbische Paare müssen sich komplizierte und diskriminierende Umwege einfallen lassen, um zu einer künstlichen Insemination zugelassen zu werden.
Die aufgezählten Mißstände mündeten in den letzten Jahren meist in die Diskussion um die Homoehe. Auf dem diesjährigen CSD haben die Veranstalter nun zu der Forderung gefunden, Steuervorteile für Ehepaare abzuschaffen und zugleich die gesetzliche Legalisierung von homosexuellen Lebensgemeinschaften einzuklagen. Nur die materielle Sorge für Kinder, Alte und sonstige Bedürftige solle noch zu steuerlichen Begünstigungen berechtigen.
Weitere Forderungen des CSD sind: freie Namenswahl für Transsexuelle, das Recht Intersexueller – sogenannter „Zwitter“ – auf körperliche Unversehrtheit, die Anerkennung von Homo- und Transsexualität als Asylgrund und ein Schuldeingeständnis der politisch Verantwortlichen für die Verfolgung Homosexueller zwischen 1949 und 1969 nach dem Naziparagraphen 175. Reinhard Krause & Jan Feddersen
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