: Helm ab zum Verkehr
Aus religiösen Gründen darf ein Inder und überzeugter Sikh beim Motorradfahren den Turban aufbehalten ■ Von Elke Spanner Größter Eisbrecher der Welt in Hamburg
Daß die strengsten Religionen die freizügigste Kleiderordnung verlangen können, erfuhr ausgerechnet eine kleine Fahrschule in Hamburg-Eppendorf. Bei jener „Fahrschule Hübner“ stand plötzlich der Inder Ranjit Singh vor der Tür. Und während sich fahrlernende Christenkinder stets devot dem staatlichen Gebot unterwerfen, niemals ein Motorrad ohne Helm zu besteigen, weigerte er sich strikt, seine religiöse Turban-Tracht gegen eine sicherheitsstiftende Hartplastik-Mütze einzutauschen. Statt ihn seiner Räume zu verweisen, begann Fahrlehrer Ernst Günter Hübner, sich bei den Behörden für den überzeugten Sikh stark zu machen. Als erster Motorradfahrer in Hamburg darf dieser nun ohne Helm auf die Straße.
Hätten die Hamburger Behörden die einschlägigen Gesetze gekannt, müßte dies gar keine Besonderheit sein. Bereits 1986 beschloß der „Bund-Länder-Fachausschuß für Verkehr“, daß „eine Befreiung der Helmtragepflicht aus religiösen Gründen bei Ordensschwestern oder Sikhs möglich ist“. Doch noch nie hatte etwa eine Nonne beantragt, statt mit Helm mit Nonnenschleier über die Straßen zu brettern. Unerfahren schickte der Landesbetrieb Verkehr Singh die erste Ablehnung, dann die zweite und zwischendrin irrtümlich das Angebot, ohne Gurt Auto zu fahren, wenn er denn wolle.
Singh wollte nicht. Statt dessen telefonierte er die Sikh-Gemeinden in Deutschland, England und Kanada ab und präsentierte den Behörden schließlich nicht nur das Foto eines motorisierten Glaubensbruders, der in Nordrhein-Westfalen die Genehmigung erhielt. Zudem wußte er vom Schicksal eines anderen zu berichten, dem 1995 sein Job in einem Hamburger Restaurant gekündigt wurde, weil er sich geweigert hatte, seinen Turban abzunehmen. Das damit befaßte Gericht hatte einen Gutachter befragt, und der gab zu Protokoll, daß es für einen Sikh dem Austritt aus der Religion gleichkäme, würde er sich öffentlich ohne Turban zeigen. Dies sei unzumutbar und die Kündigung folglich ebenso. Jener Inder bekam Recht und Rajit Singh amtlich abgesegnete Argumente für seinen Antrag, mit Turban Motorrad zu fahren.
Seither, sagt Singh, „ziehe ich alle Blicke auf mich“. Die Polizei habe allerdings noch niemand verständigt, „auch wenn ich eigentlich jeden Tag damit rechne“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen