piwik no script img

„Etwa die Kategorie Rudi Carrell“

■ Journalist und Börsenzocker André Kostolany erheiterte Bremer Begüterte. Dr. Blohm fehlte nicht

Die letzte Tüte Vanilleeis sprengte endgültig Blohms Kreditrahmen bei der Sparkasse. Also überfiel er mit Freund Voss einen Geldtransport. Voss ging dafür ins Gefängnis. Dr. Blohm erforscht derweil Anlagemöglichkeiten für das Raubgut: Eine moderne Form der Arbeitsteilung. Als neuer Kapitalbesitzer durfte Blohm am Donnerstag einer geschlossenen Veranstaltung der „Finanzdienstleister“ Hesse & Partner beiwohnen. Dort sang der 91jährige Börsenguru André Kostolany eine Hymne auf den Aktienmarkt. Blohm lauschte ergriffen und berichtete seinem Freund in den Knast.

„Lieber Voss, unser ,Duweißtschon' ist sicher versteckt. Meine erste Recherche für den Anlageversuch war allerdings arg anstrengend. Um 18.30 Uhr sollte André Kostolany, der greise Held der Zocker, auftreten. Er ist zwar klein gewachsen, aber noch immer ein charmanter Grandsegnieur. Buckel und Altersflecken sind verpackt in perfekten dunklen Anzugstoff.

Doch erst einmal wurde ich systematisch mit Sekt benebelt. Um 19 Uhr mußte man sich dann durch eine ellenlange Eigenwerbungslitanei der sogenannten Finanzdienstleister Hesse & Partner quälen. Ohne das Versprechen darauffolgender Fütterung wäre wohl kaum einer der krawattierten Vermögensmögenden geblieben. Bittere 50 Minuten lang mußte ich mir anhören, daß es wünchenswerter sei, sein Geld sinnvoll anzulegen als sinnlos. Das wissen auch Deine beiden Zellengenossen. Doch dieser Hesse kleidete den – tja, wie soll ich es nennen? – „Gedanken“ in 379 verschiedene Sätze. Das nötigt Respekt ab. Statt des Wortes „sinnvoll“, benutzte er aber das schönere Wort „strukturiert“. Strukturiert kann eine Vermögensplanung nur dann sein, wenn sie nicht von Brezelverkäuferinnen, sondern von Fachleuten vorgenommen wird. Von Fachleuten wie Hesse & Partner natürlich. Dabei versprach Herr Hesse Aufregendes über „die Metamorphose von Geld in eine Vermögensanlage“. Mit deutlich kleinerer lyrischer Sprachgewalt, wiederholte sein Partner das beruhigende Wort solide, solide, solide, solide ... Lieber Voss, wahrscheinlich haben Hesse & Partner nur deshalb den Ruf, solide zu sein. Der Herr Partner erwies sich immerhin als souveräner Herrscher über die Technik des Laptops. Ein Mouse-click, und der Videobeamer reproduzierte genau den Satz, den er sagte. Zum Beispiel: „Sie fühlen sich rundherum wohl, weil Sie genau Ihr gewähltes Renditeziel erreichen werden.“ Das nenne ich Kompetenz, die Vertrauen einflößt. Unser ,Duweißtschon' würde ich ihm aber nicht überlassen.

Kostolany aber schon eher. Der erwies sich als Schalk. Er weigerte sich Tips zu geben, „ich gebe keine Ratschläge mehr“ – und tat es nur allzu gerne. Seine Grundidee: immer feste antizyklisch. Wenn einen die besten Freunde für komplett schwachsinnig halten, liegt man richtig. Also: Nach dem Zweiten Weltkrieg auf deutsche Staatsanleihen setzen, mitten während der Krise der amerikanischen Autoindustrie bei Chrysler zuschlagen und heutzutage in Asien, Polen, Ungarn einkaufen. Der Grund: „Ich bin Optimist“. Jedes Unglück wird sich irgendwann zum Guten wenden. Ein unverbesserlicher Geschichtsphilosoph.

Trotz solch sympathischer Grundeinstellungen ist der Aktienmarkt leider nichts für uns, lieber Voss. Kostolany empfiehlt ihn nur für langfristig planende Menschen oder Pensionskassen, die sich einen Dreck scheren um kurzfristige Börsengewitter. Dieses Tageszickzack hält Kostolany nämlich für genauso unberechenbar wie das Weserwetter. Selten ist es genau vorherzusagen. „Vergessen Sie alles, was Sie im Wirtschaftsstudium lernen.“ Deshalb gilt auch: „Wer heute Aussagen macht über die Auswirkungen des Euros, ist ein Träumer.“ Besonders gefreut hat mich in diesem Zusammenhang die Beschimpfung der deutschen Anleger heutzutage: Die ganzen „Greenhorns und Amateure“ machen mit ihrer Neigung zu hysterischen Überreaktionen den Aktienmarkt noch kalkulierbarer als er eh schon ist.

Wir können uns übrigens glücklich schätzen, daß wir für unser „Duweißtschon“ keine Zeiss-Aktien mehr abbekommen haben. Die reißerische Art und Weise der Emission neuer Aktien findet der Alte nämlich „schwindlerisch“, „betrügerisch“. „Eine Spielhölle mit gezinkten Karten“, tobte er genauso entfesselt, wie Du die Bayern-München-Tore beschreist. „Es wird Blut fließen! Das behaupte ich. Und wenn man gegen mich prozessieren sollte. Da wehre ich mich vor den Richtern dieser Welt.“

Apropos Richter. Daß Du bald vor einem stehen mußt, finde ich gemeiner denn je. Dieser Kostolany findet es ganz okay, daß erst jüngst sein läppischer Spieleinsatz für verstaubte zaristische Papiere von dem darbenden, hungernden, mitleidserweckenden russischen Staat verhundertfacht wurde. „Das glaubt mir keiner.“ Aber ist seinen massenhaften Erfolgsstorys zu glauben? Warum eigentlich verkauft er sich an einen Anlageberater, plappert am Anfang und am Schluß seines Vortrags hübsch auftraggebergerecht von der abgrundtiefen Schlechtigkeit der Anlageberater großer Banken und der Einzigartigkeit der Unabhängigen?

Ich plauderte mit einem Schreiberling des „Weserlotsen“. Das ist eine hübsche Zeitschrift, die seit 50 Jahren existiert, ohne daß sie einer kennt. Deren Mann tippte unverbindlich auf ein Vortragshonorar um 30.000 Mark. „Etwa die Kategorie Rudi Carrell.“ Da bekäme ich glatt Magenschmerzen bei der Vorstellung, daß von unserer sauer geraubten Kohle solche Batzen für Marketing mit viel Keep smiling und Sektkelchhalten draufgehen. Deshalb gehe ich jetzt in die Stadt und verschlecke unser „Duweißtschon“ in Eistüten. Gruß

Dein Dich küssender Blohm“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen