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Die Überprüfung der Ideale

...oder: Das Genie als Liebender & Dichter – und „Der nackte Michelangelo“ als Premiere in der Schaubühne, inszeniert von Ismael Ivo und George Tabori nach einer Suite von Dmitri Schostakowitsch  ■ Von Katrin Bettina Müller

Es geschieht selten im Theater, aber es geschieht. Da wünsch' ich mir, mächtig wie ein Fürst der Renaissance, das ganze premierengestylte Publikum nach Hause zu schicken, die Tänzerdekoration von der Bühne zu fegen, und dann müßte der Sänger noch einmal von vorn beginnen, ganz allein für mich. (Höchstens die Pianistin Tatjana Blome darf mit, aber nur, wenn Matteo de Monti nicht wieder ihre Haare zaust.)

Aber wie jede Allmachtsphantasie wäre auch diese zum Scheitern verurteilt. Denn von nichts anderem klagen die Lieder, die Schostakowitsch nach Gedichten Michelangelos geschrieben hat, als von der Anmaßung, sich Schönheit einverleiben und der Kunst gebieten zu wollen; Besitz anzustreben, wo nur Sehnsucht gilt.

Michelangelo Buonarroti schrieb davon in zweifacher Weise: zum einen in Wut über die Auftraggeber, gierige Fürsten, heuchlerische Päpste und die eitle Bürgerschaft der Stadt Florenz; zum anderen als Liebender, der die Schönheit, die er suchte, nicht festhalten konnte – es sei denn in Stein. So trauern die Gedichte auch um den Zwiespalt der Kunst, das unvergänglich Festgehaltene nicht zugleich hier und jetzt leben zu können.

Liest man die Gedichte stumm, ahnt man noch nicht den Reichtum an innerer Bewegung, den sie durch die paar zerfetzten Töne von Schostakowitsch erhalten, die Tatjana Blome am Flügel aufliest wie Splitter eines zerborstenen Ganzen. Die Vokalsuite, 1975 geschrieben, gehörte zu den letzten Werken des Komponisten, der sich sicher nicht nur von Michelangelos Abrechnung mit den Dienstherrn der Kunst angezogen fühlte, sondern auch von dessen Versuch, sich mit dem Ende und dem Tod anzufreunden.

So sind in den Liedern die Legenden beider Künstler präsent, und dem Bariton Matteo de Monti, der mit verbundenen Augen singt, gelingt es tatsächlich, sie zu einer einzigen Rolle zu verschmelzen. Man spürt beinahe jeden schmerzhaften Atemzug auf dieser Suche nach einer aushaltbaren Form, die sich an der Sprache wie an einem unbehauenen Steinklotz entlangtastet.

Und was treiben derweil Ismael Ivo und die Tänzer des Weimarer Nationaltheaters auf der Bühne? Nun ja, sie verschwinden öfters in der Randunschärfe, und das ist auch ganz gut so. Denn ihr Aktionsprogramm pendelt ein wenig unentschieden zwischen Dekonstruktion der märtyrerhaften Künstlergestalt und der Illustration ihrer existentiellen Ängste. Wie ein Schatten verfolgt Ismael Ivo den Sänger, mimt den grausamen Tod, der über die Ängste des Sterbenden lacht, und den mütterlichen, der ihn mitleidend umfängt. Er zischt wie die Schlange, winkt wie der Verführer, leidet mit an den Schauern des Verlassenen, der statt des Körpers der Geliebten bloß einen Schuh an sich drückt. Ivo bietet de Monti Handlungsvorlagen und zieht ihn in symbolische Konstellationen hinein, ohne je von deren Notwendigkeit zu überzeugen.

Dann wieder, wenn dem von seiner Liebe Getrennten mitten in der Zeile ganz unvermittelt das Herz stehen- und die Luft wegbleibt, entspinnt sich im Hintergrund die Pantomime einer Kleinfamilie, in der Mama den Papa mit dem Kind erpreßt. Dies wirkt für einen Moment wie der Versuch, den Idealen der Kunst die schnöde Realität als Korrektiv gegenüberzustellen, aber es funktioniert schlecht.

Die Demontage des Schönen und Wahren muß diesmal die Waffen strecken. Sie hat einfach nicht die Macht der Gefühle auf ihrer Seite, sondern nur ein paar als distanzierendes Element eingesetzte Tänzer. Wenn Ivo den Sänger nach dem letzten Lied von der Unsterblichkeit niederringt und würgt, erscheint dies als die kleinliche Rache des neidischen Realisten am klassischen Ideal des Unvergänglichen. Gleich muß man diese Zeilen im Programmheft nachlesen: „Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume: Ich leb in euch und geh durch eure Träume ...“

George Tabori, der das Theater als einen Ort sieht, „an dem man über den Tod nachdenken kann“ (Interview im Tip 12/98), tritt dabei hinter Schostakowitsch und Michelangelo zurück. Halbherzig bleibt der Versuch, aus der Reibung verschiedener Kunstkonzeptionen über die Jahrhunderte hinweg auf Distanz zu schalten. Ein bißchen tändelt „Der nackte Michelangelo“ zwar mit dem Bewußtsein, daß die Liebe zur Schönheit und Wahrheit als biographisches Leitmotiv einen heute nirgendwohin mehr bringen kann, aber letztendlich geht es nicht um eine Überprüfung der Ideale auf ihre Realitätstauglichkeit. Was bleibt, ist der Trost, sich in den Zweifeln und Ermutigungen eines Menschen wiederzufinden, den man auch nach fast 500 Jahren nicht vergessen hat.

„Der nackte Michelangelo“. Schaubühne am Lehniner Platz, am 20., 23., 26., 27., 30. Juni, 3., 4., 6., 8., 10., 12. Juli, 20 Uhr

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