: Der Fußball rollt, die Musik verstummt
■ In Toulouse wird das Fête de la Musique abgesagt, in Paris müssen Benefizkonzerte ausfallen, in Lens wird Jimmy Cliff. Kulturarbeiter empört
Paris (taz) – Wo der Fußball rollt, verstummt die Musik. In Toulouse hat der Bürgermeister das diesjährige Fête de la Musique, das am Vortag der Begegnung England–Rumänien stattfinden sollte, abgesagt. Sein Kollege in Marseille hat das Musikfest ebenfalls verschoben.
Die nordfranzösische Stadt Lens hat ein Konzert von Jimmy Cliff gecancelt. Und in Paris müssen die Konzerte vor dem Hintergrund der Menschenrechtskonvention, die für die Champs-Élysée angekündigt waren, am Sonntag ausfallen.
Die Begründung ist überall dieselbe: Angesichts der Fußball- Weltmeisterschaft könne die Sicherheit der KonzertbesucherInnen nicht garantiert werden.
Während das in den Provinzstädten die Bürgermeister unter dem Eindruck der Randale von Marseille entschieden, kam in Paris der Ukas direkt aus Polizeipräsidium und Innenministerium. Der Buchladen Fnac, der vier Tribünen für die Menschenrechtskonzerte am Sonntag geordert hatte, beugte sich umgehend. „Die Champs-Élysées sind schwer zu kontrollieren“, erklärte ein Sprecher.
Seit das Fête de la Musique 1982 von dem damaligen Kulturminister Jack Lang initiiert wurde, fällt es damit zum ersten Mal aus. Bislang lockte es alljährlich am 21. Juni landesweit Zigtausende von AmateurInnen und ProfimusikerInnen sowie Millionen von ZuhörerInnen auf die Straßen. Allein für den Großraum Paris haben für diesen Sonntag 4.500 MusikantInnen ihre Teilnahme beim Kulturministerium angekündigt, die gratis auf den Straßen und Plätzen auftreten wollen.
KünstlerInnen in Toulouse, dessen konservativer Bürgermeister Dominique Baudis als erster angekündigt hatte, er werde das Fête verschieben, erklärten verbittert, die Kultur falle dem Fußball zum Opfer. Andernorts war das Verständnis etwas größer.
„Fußballfans und Musikfreunde sind kein Gegensatz“, erklärt eine Konzertveranstalterin in Paris, die sicher ist, daß „die Leute Verständnis für dieses Ausnahmeereignis WM haben.“ Das Kulturministerium in Paris, das das Fête de la Musique organisiert, beugte sich kritiklos den Entscheidungen von einzelnen Bürgermeistern und des Innenministers Jean-Pierre Chevénement.
Für all jene Franzosen und Französinnen, die seit Monaten Stimmung gegen die Weltmeisterschaft machen, ist das Verbot aber natürlich Wasser auf ihre Mühlen. Nach mehreren winzigen Demonstrationen – unter anderem vor der Pariser Zentrale des WM-Komitees – und einem Sonderheft der Wochenzeitung Charlie Hebdo mit dem Titel „L'Horreur footballistique“, das umgehend zum Kassenschlager wurde, haben sich die WM-GegnerInnen im Internet als „offizielle WM-Gegner“ (http://altern.org/croa/opof/Opposant.html) eingenistet.
Von dort ausgehend finden sich ihre Analysen und Petitionen und unter anderem die Karikatur des auf einen Grill gespießten WM- Maskottchens „Footix“. sowie Ideen für Attentate in Fußballstadien (http://www.mygale.org/00/ mygben/mondial98.html).
Eine posthume Bestätigung liefert die Absage des Fête de la Musique dem anarchistischen Komitee für den Boykott der Fußball-WM (http://perso.wanadoo.fr/ cobof/Default.htm), das sich am 10. Juni, als die WM begann, resigniert aufgelöst hat. Damals schrieb das gegen das „totalitäre Spektakel“ gescheiterte Boykottkomitee: „Wenn das Denken von Tietmeyer bestimmt wird, verkörpert Blatter die Kultur.“ Dorothea Hahn
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