: Der größte Kick
Carlos Castaneda, der Geisterseher der Hippie-Ära, ist tot. Seine Bücher lasen nicht wenige als Reiseführer auf dem Weg in die Außenwelt der Innenwelt ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Der Bildungskanon der Siebziger-Jahre-Hippies war schmal. Für gewöhnlich wohlgeordnet auf indischen Tüchern fanden sich die maßgeblichen Autoren und Werke der Beatgeneration: Robert Crumb und die Freak Brothers neben Laotse und dem Tibetanischen Totenbuch, Meister Eckhart und Hildegard von Bingen neben Bommi Baumann, Hermann Hesse und den gefaketen Reden des „Südseehäuptlings“ Papalagi, Timothy Leary neben den ersten drei Büchern von Carlos Castaneda. Daneben noch ein hübsch verziertes Döschen für Bewußtseinsverbesserungsversuche.
Während LSD, Psilocybin und das romantische Hippietum der Siebziger seit ein paar Jahren auf alternativ-technoiden Open-Airs eine Renaissance unter dem Zeichen illusionsarmer Partyspäße erlebt, sterben die Hippiehelden. Letztes Jahr William S. Burroughs, Jerry Garcia, Allen Ginsberg, Timothy Leary und Herbert Huncke; nun Carlos Castaneda. Wie erst jetzt bekannt wurde, starb er am 27. April 98 in seinem Haus in Westwood an Leberkrebs. Sein Leib wurde sofort verbrannt, seine Asche in Mexico verstreut. So gehört es sich für einen Schamanen.
Rucksäcke für besseres Fließen
Der — wie man will —: Romancier, Doktor der Anthropologie, Romantiker und Großvater der amerikanischen New-Age-Bewegung verkörperte wie kaum ein anderer „Kalifornien als geistige Lebensform“, wie die FAZ schrieb, der Castanedas spirituelle Grundforderung, den „inneren Dialog“ einzustellen eher suspekt war. Nicht zu denken und nur noch zu schauen gilt als undemokratisch, mag es auch die kulturelle Grundtechnik der meisten Religionen sein und das ständige Geschwätz im eigenen Kopf noch so nerven zuweilen.
Castanedas Werke waren ausnahmslos Bestseller. 1968 erschien der erste davon — „Die Lehren des Don Juan“ — in dem der Autor von seiner Initiation bei dem mexikanischen Yaqui-Schamanen Don Juan Matus und vielerlei Erlebnissen in der „anderen Wirklichkeit“ berichtete. Nach der Lektüre, die viele als psychedelischen Reiseführer verstanden (oder auch mißverstanden, wie Castaneda, der kein Drogenguru sein wollte, immer wieder betonte), trugen die meisten seiner Leser Rucksäcke. Der Grund: das einseitige Tragen von Taschen behindere das spirituelle Fließen. Das hat sich über die Jahre dann auch durchgesetzt.
Neun weitere Bücher folgten, die sich millionenfach verkauften und in siebzehn verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Wie sein ethnologischer Kollege, der kalifornische Drogenguru Terrence McKenna (Ethnologie und psychedelische Drogen pflegen im sonnigen Kalifornien Hand in Hand zu gehen) hatte Castaneda „Dinge gesehen“, die recht abenteuerlich und phantastisch anmuteten. In seinen Büchern ging es um Methoden des Wachträumens, „die Kunst des Pirschens“, eiförmige, leuchtende Energiekörper und allerlei Abenteuer zwischen dem Zauberlehrling und seinem väterlichen Lehrer, der in Zen- Tradition auch gerne zu witzeln pflegte. Zentral aber war die Kunst, einen Zustand des luziden Träumens zu erreichen.
Einfach ist das selbstbestimmte Träumen nicht, man muß sich ihm in einer mischung aus Absichtslosigkeit, Meditationshaltung und Zahlenmagie nähern, und auch dann kann es dauern: Über sieben Brücken mußt du gehen. In seinem vorletzten Buch — „Die Kunst des Träumens“ — spricht Castaneda von sieben Schwierigkeiten, die der professionelle Träumer überwinden sollte. Castaneda erzählt von geheimnisvollen androgynen Feenwesen, mit denen er kohabitiert, von „anorganischen Wesen“ denen er trotzt und einer Begegnung mit einem unheimlichen Mieter. Mit Hilfe seiner Zaubergefährtin Carol Tiggs gelingt es dem „jungen Nagual“, Castanedas erzählerisch-spitituelles Ich, „auf den Flügeln der Absicht“ die Grenzen des Universums zu durchbrechen.
Träume, so in Don Juans eigenen Worten, seien „das Schlupfloch in andere Sphären der Wahrnehmung. Durch dieses Schlupfloch fließen Ströme fremder Energie ein. Die Zauberer machen sich diese fremden Energieströme bewußt.“ Und weiter im Text: „Wenn wir ihnen bis zum Ursprung folgen, können sie uns als Führer in andere Regionen dienen.“
Selbst derart angeleitet, konnte noch einiges schiefgehen. Der verdienten Hanfaktivisten, Kollegen und Castaneda-Fan Mathias Bröckers muß sich an der „absichtsvollen Absichtslosigkeit“ noch etwas üben. Er las für einen taz-Artikel von 1994 Castanedas Erfahrungsbericht „wie ein Amateurkicker den Trainingsfahrplan eines Top-Profis - und stellte fest, daß er „schon an der ersten „Traumpforte“ gescheitert war.“
Über das Traumthema im engeren Sinne handeln Castanedas Bücher von Übergangsriten, von spiritueller Initiation. Im Zentrum steht immer die Meister-Schüler- Konstellation: unter der Anleitung eines erfahrrenen Schamanen durchschreitet der Eleve diverse Bewußtseinszustände, die ihn läutern und als Menschen „weiterbringen“. Hierin ähnelt Castanedas Weg sowohl dem traditionellen Bildungsroman als auch den Zugängen anderer, älterer Drogenexperimentatoren der westlichen Welt, etwa Aldous Huxley und seiner Suche nach den „Pforten der Wahrnehmung“.
Daß seine Einladung zum Träumen so einen großen Eindruck auf die Söhne und Töchter der ersten Nachkriegsgenerationen machte, spricht für das enorme Bedürfnis nach Spiritualität in einer entzauberten Welt, das durch das Scheitern der „politischen“ Wege zur Veränderung noch verstärkt wurde — Castanedas eigentlicher Erfolg beginnt in den Siebziger Jahren, dem „Rückzug ins Private“, die „Innerlichkeit“.
Spiritueller Eklektizismus
Trotz oder wegen seines großen Erfolgs beim jüngeren, erneuerungswilligen Publikum, trotz der legendären Fischer-Taschenbuchausgaben mit einem wechselnd colorierten Illuminaten auf dem Cover, in jeder linksalternativen Buchhandlung ganz vorne zu finden, blieb Castaneda mit seinem spirituellen Eklektizismus ein bestenfalls populärwissenschaftlicher Autor. Seriösen Wissenschaftern, selbst den traditionell eher windigen amerikanischen Ethnologen, galt er als Scharlatan. Intellektuelle einigten sich darauf, es mit gut geschriebener Fantasyliteratur oder auch „bemerkenswerter Kunst“ (Joyce Carol Oates) zu tun zu haben, wahlweise auch mit „modernen Mythen“.
In den neunziger Jahren bemühte sich der öffentlichkeitsscheue Castaneda mit seinen Schülern und der Firma Clearscreen, sein schamanistisches Wissen unter dem griffigen Namen „Tensegrity“ unter die Leute zu bringen. 980 Mark mußten die tausend Adepten im letzten Jahr bei einem Berliner Workshop bezahlen, um allerlei magische Bewegungen zu lernen, zu deren Weitegabe der Meister selbst gleich gar nicht mehr anreise — aus „energetischen Gründen“, wie seine Vertreterin, die „Hexe“ Florinda Donnergrau den enttäuscht wartenden Adepten erklärte. Man habe sich eben im „Spitzensegment“ üblicher Workshop-Preise positionieren wollen, so einer der Veranstalter. In der Berliner Hasenheide sah man fortan viele, die nicht mehr Tai-Chi, sondern Tensegrity-Bewegungen versuchten.
Das Sichentfernen, Unkenntlichmachen, die Mystifizierung der eigenen Person war in den letzten Jahren mehr denn je Castanedas Strategie. Seine ungebrochene Faszination basiere darauf, daß nicht einmal seine engsten Freunde genau wüßten, wer er sei, hatte seine Ex-Frau Margareta Runyan 1997 in einem Text geschrieben, dessen Publikation Castaneda zu verhindern versucht hatte. Über seine Lebensdaten herrscht Unklarheit. Angeblich wurde er am 24.12.1931 in Sao Paulo, Brasilien bzw. am 25.12.1925 in Cajamarca, Peru geboren. Sicher ist: Er emigrierte 1951 in die USA.
Zweiflern erklärte der Meister, der sich wie Thomas Pynchon nie photografieren oder aufnehmen ließ, 1995 bei einer Veranstaltung in Anaheim: „Ich habe nichts erfunden und ich bin nicht verrückt. Nun ja. Vielleicht ein bißchen.“ Selbst der Tod schien dem Schamanen ohne Strachel zu sein. In einem Time-Interview von 1973 zitierte er sein Lieblingsgraffiti: „Death is the greatest kick of all. That's why they save it for last.“
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