■ Der Fall Horno: Minderheiten haben in Deutschland keine Rechte: Widerstreitende Staatsziele
Die Sorben haben Plakate gemalt, sich in historischen Trachten vor den Landtag gestellt und alle erdenklichen Wege der politischen Einflußnahme beschritten, um ihr Dorf zu retten. Allein es nützte ihnen nichts. Jeder Keim der Hoffnung, den die Hornoer Sorben in die Politik setzten, wurde von selbiger erstickt. Der Umweltausschuß des Potsdamer Landtages wurde vor der entscheidenden Sitzung umbesetzt: Die Befürworter des kleinen Dorfes in der Lausitz wurden durch Befürworter des Braunkohletagebaus in der Gegend ausgetauscht. Also stimmte der Ausschuß für das Abbaggern der Braunkohle, die unter Horno liegt. Ein Gericht entschied nach einer vorhergehenden Klage der Hornoer, daß dafür die Gesetzesgrundlage fehle. Also verabschiedete der Brandenburger Landtag das Braunkohlengrundlagengesetz, und schon war die Zerstörung der 650 Jahre alten Siedlung legal.
Als letzte Hoffnung blieb den Sorben die Brandenburgische Landesverfassung. Sie erkennt die Sorben als eine Minderheit an, deren Rechte gewahrt werden müßten. Dieses Recht endet allerdings an dem Recht des Stromkonzerns Veag, Verluste in seinem größten Braunkohlekraftwerk der Republik zu vermeiden. Der Minderheitenschutz in Brandenburg hört da auf, wo der Schutz von Arbeitsplätzen in einer unzeitgemäßen Branche beginnt. In der Landesverfassung ist der Schutz des angestammten Siedlungsgebietes der Sorben lediglich als Staatsziel festgeschrieben und nicht als ein einklagbares Grundrecht.
Das ungeschriebene Staatsziel in allen deutschen Bundesländern ist aber zur Zeit, Arbeitsplätze zumindest mittelfristig zu sichern. Denn neue Arbeitsplätze langfristig zu schaffen, haben sich alle Politiker und Landesregierungen als unfähig erwiesen. Zwischen dem Jahr 2000 – wenn der erste Bagger über Horno rollt – bis zum Jahr 2020, wenn die letzte Tonne Braunkohle aus dem Dorf verbrannt ist, sollen laut den Versprechungen der Betreibergesellschaft Laubag 4.000 Bergleute Arbeit haben.
Am Beispiel von Horno offenbart sich die perverse Umkehrung von Rechten in einem Land, in dem wirtschaftliche Interessen alle Bereiche des Lebens durchdrungen und erobert haben: 20 Jahre Arbeit und die Auslastung eines 3,5 Milliarden Mark teuren Kraftwerks wiegen mehr als die Kultur und der Lebensmittelpunkt von 350 Menschen, deren Identität durch ein unscheinbares Dorf bestimmt ist. An Horno zeigt sich, was es bedeutet, in Deutschland einer Minderheit anzugehören: nichts. Ulrike Fokken
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