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Frühlingsgefühle im Sommer

■ Die Ausstellung „Untitled – Kunstfrühling '98“ wurde am Wochenende eröffnet / Ein Panorama der Bremer Kunstszene in 48 spannenden Sequenzen

Reden wir von SiegerInnen. Von jenen 48 Glücklichen von einst 150 Hoffenden, die die Jury um den Hannoveraner Kurator Carsten Ahrens erwählt hat, um im Alten Güterbahnhof die zeitgenössische Bremer Kunstszene zu repräsentieren. Und deren Werke nun da hängen, liegen und stehen, wo Jörg Bloems Installation den Eingangsbereich augenfällig dominiert.

Pfaffen und KünstlerInnen – wer sonst wäre derart vermessen, über das Jenseits so zu plaudern, als wären sie dort tageinundaus zu Gast? „Im Himmel gibt's kein Bier“, zerstört Jörg Bloem bei uns sterblichen Sündern in leuchtenden Neonbuchstaben jede Hoffnung auf paradiesische Zustände im postmateriellen Leben. „Drum trinken wir es hier“, lautet da sein in guter scholastischer Tradition ermittelter irdischer Trost. Sowas fällt einem, egal ob Pfaff' oder KünstlerIn, nur in der Kneipe ein. Jede Wette, daß Bloem da Stammgast ist. Und ebendort, mit der Nase im fünften Pils, mehr als einmal darüber meditiert hat, daß der Tresen sich vom Altar im Grunde nicht unterscheidet, der Wirt uns priestergleich das tägliche Bier ausschenkt und Kerzen da wie dort Sünderstimmung verbreiten. Zapfaltar, Kerzenständer, Leuchtreklame und sakrale Bildprojektionen an der Wand, all das natürlich gesponsert von Beck's – ob dieser Ablaß reicht, um am Ende aller Tage kamelgleich durchs Nadelöhr zu schlüpfen? Wir werden sehen. Aber zumindest macht Bloems amüsant-plakative Installation Lust auf den „Kunstfrühling '98“.

Wo sie denn stehe, die Bremer Kunst, wurde der Herr Kurator Ahrens von der Hannoveraner Kestner Gesellschaft von einem Kollegen gefragt. „Bremen braucht sich nicht verstecken“, antwortete Ahrens nichts-, viel und irgendwassagend. Um anschließend Adorno mit der richtigen Stelle, an der es des Glücks bedürfe, zitieren zu können. Denn der Kunstmarkt ist ein launisch' Viech, das die BremerInnen mit ihrer, so Ahrens, „Kunstszene von überregionaler Qualität“ noch nicht so recht zu bezirzen wußten. Aha. Heinz-Hoek, Jaxy und Schumacher also bald neben Beuys und Baselitz?

Warum denn nicht. Zugegen sind die Global Kunstplayer im Güterbahnhof jedenfalls. Auf Herwig Gillerkes ironischer Arbeit zum Beispiel, einem gemalten Crossover aus Musik, Kunstgeschichte und Anekdötchen aus dem Privatleben der ganz Großen. Oder in den Bildern und Installationen von Gloria del Mazo, die „große“ Frauen und „große“ Parfüms zu – ja was, großer Kunst, großer Werbung? – verschmelzt.

Die Krise der Malerei – in Bremen existiert dieses gern kolportierte Szenario offenbar nicht. Zahlreiche Gemälde tummeln sich an den Wänden der beiden riesigen Ausstellungsräume. Nur, was zeigen sie? Viele romantische Bildsujets, Landschaftsmale-rei in der Worpsweder Tradition – eine Suche nach Anschluß, nach dem Gefühl, ein Tasten nach den wahren Dingen im langen Schatten der Abstraktion? War also alles schon mehr als einmal da. Na und? Und dennoch: Er läßt den Betrachtenden ein wenig ratlos zurück, der Blick auf Anette Venzlaffs romantikzitierenden Bilder oder auf Natalie Thomkins menschenleer-farbenfrohe St. Jürgenlandschaften. Eine bildgewordene Sehnsucht im Zeitalter der Gentechnik und der schon zur Gewohnheit gewordenen allgegenwärtigen Unübersichtlichkeit?

Dem gemalten Blick zurück steht im „Kunstfrühling“ ein facettenreicher Blick nach vorn entgegen. Tom Terhoevens „Skulpturaler Bausatz“ aus Holzstücken und rechteckigen Lichtquellen etwa weist den Weg in die Natur von morgen: Jeder baut sie, wie er will. Aus totem Geäst und kaltem Licht. Die individuelle Ästhetik triumphiert vollends über das ganz andere, was im Naturbegriff nur noch schwach und aus weiter Ferne um Anerkennung fleht.

Und der Leib? Auch er eine fixe Idee von gestern. Befreit von den Zwängen der Biologie kann er wie in Andreas Schimanskis Computeranimationen als Donut, Kugel oder Spirale neuerfunden werden oder als collagierbares Etwas wie in Karin Pucks Tellerbildern wiederkehren. Ironie, die die eigene Verunsicherung nicht kaschiert.

Nun denn, wo steht also die Kunst aus Bremer Landen? Zunächst mal im alten Güterbahnhof. Drei Wochen lang, in achtundvierzigfacher Ausführung. Das Weitere ergibt sich dann. Franco Zotta

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So von 12-18 Uhr; Do 12-22 Uhr. Zur Ausstellung, die am 12. Juli endet, ist ein Katalog erschienen

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