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In Decani herrscht nackte Angst

Serbische Soldaten und Polizisten kontrollieren die Ende Mai zerstörte Stadt in der serbischen Provinz Kosovo. Nur im Zentrum leben noch einige Menschen  ■ Aus Decani Erich Rathfelder

Rauch steigt auf über dem Anwesen, das in einem idyllischen Tal im Westen der serbischen Provinz Kosovo liegt. Wo noch vor Wochen ein relativ friedliches Leben möglich war, brennen jetzt die Häuser. Die hochaufragenden Berge markieren die Grenze zu Albanien, die Straße führt direkt in das Ende Mai zerstörte Gebiet um die Stadt Decani. Die ethnischen Säuberungen, die Vertreibung der albanischen Bevölkerung, hatten Anfang Juni eine harsche Reaktion der Nato ausgelöst.

Mit Luftangriffen der westlichen Verteidigungsorganisation rechnet jetzt jedoch niemand mehr. Auch nicht die serbischen Soldaten, die sich entlang der Straße eingegraben haben. In Abständen von 100 Metern sind Unterstände eingerichtet, die Maschinengewehre sind auf die albanischen Dörfer gerichtet.

Die Soldaten sind nicht gerade erfreut über den Besuch von Journalisten, lassen den Wagen aber passieren. Das ist einem Team des Internationlen Roten Kreuzes auch schon gelungen. Das Versprechen des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, Journalisten und humanitäre Helfer in das Gebiet um Decani zu lassen, das er nach Unterredungen mit Rußlands Präsident Boris Jelzin gegeben hat, wird eingehalten. Damit ergibt sich die Möglichkeit zu prüfen, ob die Aussagen von Flüchtlingen wahr sind, daß hier noch Hunderte von Menschen in Kellern und Warenlagern festgehalten werden.

Das Bild, das sich am Ortseingang von Decani bietet, erinnert an Vukovar und andere Städte Bosniens. Gähnende Fensterhöhlen starren dem Besucher entgegen, ausgebrannte Häuser, ausgeraubte Geschäfte säumen die Straßen. Wo noch vor wenigen Wochen das Leben quirlte, wo Cafés und Restaurants zum Verweilen einluden, ist eine gespenstische Stille eingetreten. Hunde tollen in den Ruinen, eine Kuh streift durch die von Geröll und Schutt übersäten Straßen. Der Raum, in dem sich das Büro der Menschenrechtskommission des Kosovo befunden hat, ist vollständig verwüstet.

Nur im Zentrum der ehemals mehr als 20.000 Einwohner zählenden Stadt stehen noch einige Häuser. Auch in dem sich anschließenden Stadtteil, wo vor allem Serben wohnen. An einer Kreuzung ist ein serbischer Armeeposten eingerichtet, vor dem nebenan liegenden Polizeihauptquartier stehen schwerbewaffnete Polizisten.

Im Café „Montenegro“ verteidigen serbische Zivilisten, unter ihnen Zivilbeamte, die Aktion der Armee, kein Wort des Bedauerns kommt über ihre Lippen. „Serbische Familien wurden von den Terroristen aus den umliegenden Dörfern vertrieben. Die Albaner wollen den serbischen Staat nicht akzeptieren. Die Terroristen sind jetzt weg“, sagt einer der Serben. Über Gefangenenlager wüßten sie nichts. Es gebe aber noch Albaner in der Stadt.

In einem vierstöckigen Haus sind drei der acht Wohnungstüren mit Äxten gewaltsam geöffnet worden. Die Wohnungen sind verwüstet. Erst nach langem Klopfen reagieren die Bewohner hinter einer der unbeschädigten Türen. Die verängstigten Gesichter eines älteren albanischen Ehepaares tauchen auf. Sie wüßten nicht, was mit ihren Nachbarn passiert sei, sagen sie. Die Polizei hätte sie nicht bedroht. Wir brächten sie aber mit unseren Fragen in Gefahr, bedeuten sie.

Angst ist auch bei einem serbischen Nachbarn zu spüren. Er habe seine Kinder in Sicherheit gebracht und sei „vor 14 Tagen zurückgekommen.“ Auf die Frage, ob er vor der Aktion der serbischen Sicherheitskräfte gewarnt und zum Verlassen der Stadt aufgefordert worden sei, will er nicht antworten. Auch nicht der serbische Rentner in einem Nachbarhaus. Deutlich ist beiden Gesprächspartnern aber anzumerken, daß sie die Zerstörung der Stadt mißbilligen.

Eine 64jährige albanische Frau, deren Mann krank ist und dringend Medikamente braucht, berichtet, die serbische Polizei sei bisher nicht in ihrer Wohnung gewesen. Sie traue sich nicht auf die Straße. Ein serbischer Nachbar kaufe für sie ein. Von Gefangenenlagern wüßte sie nichts. Sie habe keinen Kontakt zu anderen Albanern.

In einem Warendepot, das von Flüchtlingen aus Decani bei einer Befragung in Montenegro als „Lager“ für gefangene Albaner bezeichnet worden war, ist ein alter Mann anzutreffen. Im Ganzen seien 38 Menschen von der Polizei bei ihm eingeliefert worden, sagt er zögernd. Sie hätten hier übernachtet und seien dann wegebracht oder freigelassen worden. Mehr dürfe er aber wirklich nicht sagen.

Die nach der Zerstörung der Stadt und der Vertreibung hiergebliebenen Menschen haben Angst zu erzählen, was geschehen ist. Die Polizei, die Sicherheitskräfte und Beamte in Zivil kontrollieren jede Bewegung, wissen über alle Bewohner Bescheid.

Plötzlich sind Schüsse zu hören. Die „Kosova Befreiungsarmee“ (UCK) hat den Kampf um Decani nicht aufgegeben. Sie hält einige der umliegenden Dörfer, ihre Kämpfer nähern sich immer wieder der Stadtgrenze. Die UCK versucht in der gesamten Region, die Bewegungen des serbischen Militärs zu stören. Die Polizei bietet jetzt sogar an, eine Eskorte zu stellen, um zu dem nahegelegenen berühmten orthodoxen Kloster von Decani zu gelangen. Ruhe herrscht hier, die Kirche aus dem 14. Jahrhundert wurde von italienischen Baumeistern gestaltet.

Vater Sava, der Abt des Klosters, ist seit der Aktion der serbischen Streitkräfte nicht mehr in der Stadt gewesen. Es drängt ihn auch nicht danach. Der freundliche und eloquente Geistliche mißbilligt „die ethnischen Säuberungen beider Seiten“. Noch hofft der erklärte Gegner von Milošević, daß verhandelt werden kann. „Die internationale Gemeinschaft muß weiter Druck ausüben, um neue Katastrophen zu verhindern“, fordert er.

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