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Kein Verkehrskasper

Eine kurze, traurige Geschichte des Hamburger Kinder-theaters und ein wenig Happy End  ■ Von Christiane Kühl

Kindern traditionelle deutsche Märchen zu erzählen, heißt, sie fürchten lehren. Märchen, so fanden die aufgeklärten und aufklärenden siebziger Jahre heraus, sind moralinsauer, frauenfeindlich und obendrein grausam. Kleinen Seelen jagen sie in erster Linie Angst ein. Vom Hamburger Kindertheater zu erzählen, ist allerdings nicht weniger furchterregend. Zwar reicht seine Geschichte nicht so weit zurück, doch ist jedes erinnerte Intervall ein trauriges Kapitel für sich. Und mit der vorletzte Woche bekanntgewordenen Entscheidung, den 500.000-Mark-Etat für Kindertheater auf Kampnagel von dieser Bindung zu entheben, sah es sogar so aus, als wollte die Hansestadt nun die Buchdeckel ganz zuschlagen.

„Ich habe die ganze Sache zwölf Jahre lang mit heftigem Interesse verfolgt. Und mit heftigem Frust“, beschreibt die Regisseurin und Schauspielerin Christiane Richers ihre Situation und steht damit nicht allein. Mit 20 Freien Kindertheater- und Puppenspielgruppen unterzeichnete sie einen Offenen Brief an Kultursenatorin Christina Weiss, der deren kulturpolitisches Vorgehen „eine klare Absage an das Hamburger Kindertheater“ nennt. Dabei fühlten sich die Theatermacher noch im vergangenen Jahr kurz vor dem Ziel ihrer bescheidenen Wünsche: Die Stadt hatte den Umzug und Ausbau des Fundustheaters zum zentralen Spielort der Freien Kinder- und Puppenspielgruppen unterstützt und gleichzeitig 200.000 Mark zur Basis- und Projektförderung in Aussicht gestellt. Auch die wurden vorrübergehend im Rahmen des allgemeinen Sparzwangs wieder unter den Hut gezaubert.

Hamburg gibt im Vergleich zu anderen Metropolen nicht nur extrem wenig Geld für Kindertheater aus (1,8 Millionen; Berlin: 22 Millionen), sondern verfügt zudem über keinen festgeschriebenen Etat für Freies Kindertheater. Das Theater für Kinder, das im festen Haus in Altona ästhetisch feste konservativ arbeitet, erhielt 1998 823.000 Mark Subvention; alle anderen Kinder-theatermacher mußten sich um einen Bruchteil des allgemeinen, mit 700.000 Mark ausgestatteten „Freien-Topf“ bewerben. Strukturelle Arbeit oder kontinuierliche Präsenz sind da kaum möglich.

Um genau die aber geht es den Kindertheatern. Zum einen soll das Fundus Theater Zentrum der Aktivitäten werden, wo Premieren, Fe-stivals, Gastspiele und theoretischer Austausch stattfinden; zum anderen aber ist den Gruppen die mobile Arbeit in den Stadtteilen immens wichtig. „Das hat einfach eine andere Qualität: Die Kultur wird Teil der Welt der Kinder. Wenn man nicht zu ihnen hingeht, läßt man viele außen vor,“ erklärt Dörte Kiehn. Diese Idee aber, weiß die Puppenspielerin, führt oft zu Mißverständnissen: „Es gibt immer wieder Bestrebungen, uns in die Sozialbehörde abzuschieben.“ Fehlende Hamburger Bereitwilligkeit, neue ästhetische Tendenzen im Kindertheater wahrzunehmen, beklagt auch Christiane Richers: „Wir machen nicht den Verkehrskasper.“

850.000 Mark Subvention erhielt noch Anfang der 90er Jahre das Jugendtheater auf Kampnagel (JAK), das die Stadt nach der Schließung des KleXx Theaters als „Projekt“ einrichtete und trotz seines Erfolges 1994 abwickelte. 500.000 Mark dieses Etats gingen zur Realisierung von Jugendtheater an Kampnagel über – was mit dem Geld dort passierte, wurde im Spielplan nicht offensichtlich. Vielleicht gab die Kulturbehörde deshalb Res Bosshart nach, das Geld dem allgemeinen Kampnagel-Etat zuzuschreiben. „Das ist eine Entscheidung auf Kosten der scheinbar Schwächsten“, ärgerte sich Richers: „Da sind wir gerade: Zu zeigen, daß wir das nicht sind.“

Das offensive Ärgern hat gelohnt: Nach einem Termin in der Kulturbehörde beschloß diese gestern, die Freien Gruppen 1999 doch mit 200.000 Mark zu subventionieren und Kampnagel auf zwei Jugendtheaterproduktionen im Jahr festzulegen. Fast ein Happy End in der Antiklimax-Geschichte des Hamburger Kindertheaters.

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