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■ Zum KehrausNehmt würdig Abschied von Kresniks Fidelio

Zum letzten Male wird das kunstvolle Arrangement von ungewaschenen Blaumännern und Schutzhelmen mit dem V for Victory und für Vulkan den Opernbesucher heute Abend beim Gang an die Sekttheke ins Stolpern bringen. Zum letzten Mal wird öffentlich entrollt werden das Transparent mit dem wahren Spruch vom Baden gehenden Bremen nach verladenem Vulkan. Zum letzten Mal wird der letzte Vulkanese mit handwerklichem Geschick seinen Schweißbrenner sprühen lassen und den aus dem Teatro ins Theater herüberwehenden Duft der feinen Küche mit eisenhaltigem Qualm verdrängen. Und danach wird nicht nur der Vulkan, sondern auch Kresniks Fidelio Geschichte sein.

Wie im Bremer Musiktheater bei letzten Vorstellungen üblich, wird die Anzahl der Mitwirkenden sich die Waage halten mit der der zahlenden Zuschauer. Daher an dieser Stelle der eindringliche Appell: Heraus zum Fidelio-Finale. Kommt massenhaft.

Willkommen sind die Vulkanesen, deren Gang in die Arbeitslosigkeit für Kresnik der Gang in die Kerker der freien Marktwirtschaft ist und die in seiner Inszenierung erleben können, wie eine Tony Blair zum Verwechseln ähnliche Politikergestalt Freiheit und Erlösung verspricht, während der Vulkan abfackelt.

Zum Erscheinen verpflichtet sind diejenigen, die sich über Monate hinweg mit großem Vergnügen an den Leserbriefen in der anderen großen Bremer Zeitung gelabt haben, welche die grausame Verunstaltung des großen Ludwig Van gegeißelt haben. Verpflichtet sind aber auch diejenigen, die Tränen lachen können über böse Schurken, edles Weib und Qualen ohne Zahl erleidende Gerechte und die doch die Rührung übermannt beim Klang der Freiheit kündenden Trompete. Sie werden erleben, wie eine fast pubertäre inszenatorische Spottlust, die ordinäre Ausrutscher nicht scheut, dem großen, etwas angestaubten und durch Mißbrauch verschlissenen Werk des großen Humanisten Beethoven Würde und Größe und Aktualität zurückgibt. Tränen der Rührung, des Vergnügens und der Häme, bei Kresnik fließen sie nicht in sorgsam getrennten Kanälen, sie mischen sich wie Pathos und Karikatur, Würde und Kalauer, Freiheitssehnsucht und Bierrausch. So respektlos mit Witz „zugerichtet“ kann uns Fidelio heute wieder mehr bieten als als Bühnenweihfestspiel oder als gut gemeinte Politparabel.

Beethoven macht Spaß, nicht nur auf der Bühne. Auch in den Repertoirevorstellungen musizierten Sängerteam und Orchesterkollektiv mit Sorgfalt, Spielfreude und Engagement. Die Abschiedsvorstellung wird GMD Günter Neuhold höchstpersönlich in die Hand nehmen.

Karten sind nach Auskunft des Theaters reichlich an der Abendkasse erhältlich.

Mario Nitsche

„Fidelio“ zum letzten Mal heute, 23. Juni, 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz

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