: Gründerzeit in Berlin
■ Wie zwei Jungunternehmer der Telekom und AOL Konkurrenz machen wollen
Am Bahnhof Zoo sieht sogar Berlin ein bißchen aus wie eine Weltstadt. Doch oben im 100-Quadratmeter-Büro von Robert Rothe ist alles ruhig, aufgeräumt und kühl. Dabei bringt der Mann in schwarzen Jeans, Jackett und grauem T-Shirt mehr Menschen zusammen als der Bahnhof unten. Vor allem schneller. Er ist Geschäftsführer der Fima „Interactive Networx“, des größten Internet-Providers in Berlin. Rothe mietet Datenleitungen und verkauft seinen Kunden einen möglichst bequemen Zugang zum Internet – ein Zukunftsgeschäft, von dem Politiker um so lieber schwärem, je weniger ihnen zum Problem der Arbeitslosen einfällt. Aber von Sonntagsreden hält Rothe nichts. „Die Politiker stehlen sich nur aus der Verantwortung“, sagt er. Sein Geschäft hat er mit seinem Partner Jörn Lubkoll zusammen selbst aufgebaut – „die Fördergelder kommen viel zu langsam und viel zu umständlich“.
Staatliche Hilfe ist hier wirklich nicht mehr nötig. Rothe und Lubkoll haben ihre Firma verkauft – an den amerikanischen Großprovider PSINet, der 1997 auf einen Jahresumsatz von 122 Millionen Dollar kam. „Die Perle unter den deutschen Providern“ habe man da erworben, jubelten die Amerikaner nach der Übernahme.
Wahrscheinlich haben sie recht. Wenn Rothe aus seinen Bürofenstern im dreizehnten Stock hinausschaut, sieht er im Osten den Fersehturm am Alex, im Westen Kraftwerkschlote, ihm zu Füßen das Grün des Tiergartens. 28 Jahre alt ist er, und als „Unternehmerpersönlichkeit“ sieht er sich schon. Die notwendigen Eigenschaften wie „Härte gegen sich selbst“ oder „Risikobereitschaft“ seien eben Eigenschaften, die „zufällig zusammenkommen“ und „nicht jedem gegeben sind“.
Damit hat er es zuletzt bis auf die Titelseite der Wirtschaftswoche gebracht. So etwas könnte einem Studienabbrecher wie ihm schon zu Kopf steigen. Aber Rothe hat nicht vergessen, wovon andere Leute leben müssen, und fordert von den Unternehmern „gesellschaftliche Verantwortung“. Bei Interactive Networx gebe es keine 610-Mark-Jobs oder befristete Arbeitsverträge: „Die wahren Sozialschmarotzer sind die Chefs, die trotz gutgehender Geschäfte die Situation am Arbeitsmarkt rücksichtslos ausnutzen.“
Über 20.000 private Surfer hat Interactive Networx allein in Berlin ins Internet geholt. Auch in Hamburg, Köln und Hannover gibt es Filialen. Rund 900 Großkunden werden zudem mit einer eigenen Homepage versorgt. Rothe und Lubkoll helfen beim Aufbau eigener Hausnetze und bei der Gestaltung von Webseiten. 1997 wurden sie dafür mit einem Dienstleistungspreis ausgezeichnet. Mit der Übername durch die Amerikaner haben sie nicht nur viel Geld verdient. Sie bleiben Geschäftsführer. Denn Geld allein, so Rothe, sei schon damals nicht der Grund gewesen, den Weg in die Selbständigkeit zu wagen: „Es lohnt sich, die eigenen Ideen umsetzen. Das war unsere Hauptmotivation“, verkündet er munter, nimmt sich die nächste Zigarette, geht noch einmal kurz zum Telefon und macht sich's wieder auf der schwarzen Ledercouch bequem.
Rothe und Lubkoll haben schon mit Netzwerken gearbeitet, als nur wenige sich darunter etwas vorstellen konnten. Vor zehn Jahren, so erzählt Rothe mit verrauchter Stimme die stürmische Geschichte seines Unternehmens, hat er, noch während der Schulzeit, seine erste „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ gegründet. „Unlisys“ hieß sie und war auf Unix-Netzwerke spezialisiert. Vor vier Jahren ging sie in Interactive Networx auf, und seitdem bieten Rothe und Lubkoll Internet-Zugänge unter dem Namen „snafu“ auch für die Massenkundschaft an. Das Kürzel stammt aus dem Kultroman „Illuminati“ von Robert Anton Wilson, dem auch das Auge Gottes entliehen ist, das als Firmenlogo dient.
Die Hotline ist so wichtig wie die Standleitungen
Sechs Angestellte und ein Umsatz von etwa einer Millionen Mark, so lautete die Bilanz ihres ersten Jahres. 1997, so verweist Rothe stolz auf die letzte Bilanz, lag der Umsatz bei 10 Millionen Mark. 1998 sollen es schon 17 Millionen Mark werden. Das Fachblatt c't zählt Interactive Networx zu den schnellsten Verbindungen, die in Berlin zu haben sind. Standleitungen führen zum deutschen Zentralknoten „DE-CIX“ in Frankfurt, über den auch die Leitungen der Branchenführer im Netzgeschäft erreicht werden.
Hinter einer Feuerschutztür auf derselben Etage von Rothes Büro steht die Hardware. Hier enden die Standleitungen so prominenter Kunden wie der Messe Berlin, Siemens oder Herlitz. Über dem Server der FAZ trohnt die Datenkiste der taz. Ein Bild seltener Eintracht. „Wir haben nicht nur die Web-Präsentation vieler Unternehmen entworfen. Verschiedene interaktive Anwendungen wie Archive haben wir erst aufgebaut“, sagt Rothe in den Lärm der Klimaanlage hinein.
Neben den Rechnern für die Großkunden blinken kleine grüne Dioden in Glasschränken. Hier wählen sich die snafu-Kunden ein, holen ihre Mail ab und versenden sie in alle Welt. Weit über 4.000 Telefonleitungen können gleichzeitig freigeschaltet werden, die Speicher fassen mehrere 100 Gigabyte – und in den fünf Reihen von Rechnerschränken ist noch reichlich Platz für Erweiterungen.
Etwa ein Drittel der Betriebskosten fällt auf die Miete der Standleitungen, ein weiteres Drittel sind Arbeitslöhne. Die Jungs von der Hotline sitzen von morgens bis abends acht Uhr jeweils zu zweit an einem großen Schreibtisch mit mehreren Bildschirmen und Rechnern. Im leichten Luftzug eines Ventilators schaukelt die Gummipflanze. Die jungen Helfer – einige pickelig und in kurzen Hosen – gelten bei den Kunden als hilfsbereit und kompetent. Selbst dann, wenn das Problem nicht von der snafu-Software herrührt, sondern von alten Programmen auf dem heimischen Rechner, einem Wechsel des Betriebssystems oder den Tücken der „Datenfernübertragung“ unter Windows. Hier liegt für für Rothe der Schlüssel zum Erfolg: „Wir binden unsere Kundschaft durch Service.“
Von den rund 60 „ernstzunehmenden“ Providern, die heute um die Gunst der deutschen Internet- Surfer werben, werden nach Ende 1998 noch 20 übrigbleiben, meint er. Auf Dauer überleben sogar nur 5 – „und da werden wir dabeisein“.
„Bundesweite Einwahl bei snafu zum Ortstarif“ heißt das nächste Ziel. Aus eigener Kraft hätte das kleine Unternehmen die Investitionskosten nicht tragen können. „Vielleicht, wenn wir in zwei Jahren an die Börse gegangen wären“, sinniert Rothe; er hat sich anders entschieden. Für die Amerikaner. Mit PSINet haben Rothe und Lubkoll nun genügend Geld und Know-how im Rücken. Mit Werbekampagnen wollen sie noch in diesem Jahr weitere deutsche Großstädte für sich erobern. Nach der Zahl der Firmenkunden gehört Interactive Networx bereits unter die Top5 in Deutschland. So weit nach vorn will Rothe sein Unternehmen auch bei den Kleinkunden bringen und den großen Konkurrenten wie T-Online oder AOL einen guten Teil des Kuchens abnehmen. Markus Franken
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