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Die Spaß-Möse von Wagen 6

Lesben mit Humor und Lust – beim diesjährigen Christopher Street Day gab es zum ersten Mal einen eigenen Lesbenblock. Ihr Motto: Die Dinge einfach beim Namen nennen  ■ Aus Berlin Jens Rübsam

Eigentlich erzählt Wagen 6 fast die ganze Geschichte. Ein Wagen, auf dem eine flutschige Riesen- Möse zu sehen ist, vier Meter lang, drei Meter hoch, aus Styropor, in grellen Farben, gelb und orange. Eine Riesen-Möse, sonst nichts. Eine Möse als Symbol, nur das. Eine Spaß-Möse mit sieben spaßigen Lesben auf einem Wagen mit vier Rädern unten dran, vor Jahren noch unvorstellbar auf einem Christopher Street Day. Wie sicherlich auch das: „Wir sind stolz auf unseren Körper. Und auf das Ding zwischen unseren Beinen.“ Das schreien die Lesben von ihrem 7,5-Tonnen-Lkw herunter. Eine Frau am Straßenrand sagt: „Geil, daß sich die Lesben endlich mal zu ihrer Lust bekennen.“ Ein Mann sagt: „Unpolitische Lesben! Sicher bald ein neues Problem.“

Lust? Problem? Endlich mal Lesben mit Humor und Lust, möchte man festhalten. Die Schwulen halten seit Jahren ihre Schwänze hoch; seit Jahren fährt ein schwuler Lustwagen hinter dem anderen her – so auch am Samstag beim 20. Berliner CSD. Ein Wagen mit Pappmaché-Penis, fast so groß wie die Siegssäule, und nackte, naja, fast nackte Muskelprotze auf dem Wagen einer Porno-Produktionsfirma – alles so selbstverständlich und fast schon so erschlaffend, daß man es kaum mehr erwähnen mag. Und nun auch die Lesben, die die Lust an ihrer Sexualität entdeckt haben – und das auch zum ersten Mal öffentlich zeigen.

Zum ersten Mal in der CSD-Geschichte gab es am Samstag in Berlin einen eigenen Lesbenblock. Die Dinge endlich mal beim Namen nennen, das war das Motto. „Möse“ erschien den Lesben von einem Berliner FrauenKulturZentrum gerade richtig, um „Selbständigkeit und Selbstbewußtsein“ zu zeigen. „Megagut ist das ,Mösen- Mobil‘ beim Publikum angekommen“, sagte Christine Olderdissen nach der Fahrt durch Berlins City. Antja von der jüdischen lesbisch- schwulen Gruppe „Yachad“ meinte: „Die feministischen Frauen haben stets so eine dogmatische Trockenheit an den Tag gelegt. Gut, daß das mal anders ist.“

Nicht nur auf dem „Mösen-Mobil“ ist der Spaß an diesem Samstag Symbol. Auch bei den Lesben mitten im Zug. Die einen zeigen sich in schwarzem Anzug und Krawatte, tanzen ausgelassen um einen schwarzen Opel und sagen: „Wir wollen einfach nur Spaß haben.“ Die anderen stimmen Modern Talking an. Wo hat es das je gegeben, daß sich Lesben zu Modern-Talking-Schnulzen herablassen? Und die dritten, wie Rita und Maren am Straßenrand, die extra aus Hamburg nach Berlin gekommen sind, finden: „In Berlin sind die Lesben nicht so distanziert.“

Die Spaß-Möse von Wagen 6 also – fast schon die ganze CSD- Geschichte. Wäre da nicht der bevorstehende Wahltag, die Hoffnung der Lesben und Schwulen auf eine „andere Republik“. Ohne den üblichen Streit im Vorfeld zwischen autonomen Lesben- und Schwulengruppen und Veranstaltern wurde diesmal ein politischer Forderungskatalog aufgestellt: Anerkennung von Homosexualität als Asylgrund, Adoptions- und Sorgerecht für Kinder, Entprivilegierung der Ehe; das Recht auf körperliche Unversehrtheit von intersexuellen Menschen, formelles Schuldeingeständnis des Bundestages, daß der von den Nazis verschärfte Strafrechtsparagraph 175, der sich gegen homosexuelle Handlungen richtete, weiter bis 1969 gültig war.

Noch im vergangenen Jahr hatten die Autonomen den Organisatoren, unter anderem dem Schwulenverband Deutschland, Anpassungspolitik und bürgerlich-reaktionäre Haltungen zur Homo-Ehe vorgeworfen und mit einer symbolischen Schlammschlacht gegen reaktionäre Berliner CDU-Politiker für Aufsehen gesorgt. Diesmal – es ist Wahljahr! – herrscht Konsens unter den 300.000 Teilnehmern. Erst am Abend, beim alternativen CSD-Ultra im Stadtteil Kreuzberg, ist von 3.000 Homos zu hören: „Putzt den braunen Dreck weg. Schöne Grüße an Schönbohm und an alle Militaristen und Rassisten.“ Das ist das gar nicht spaßige Ende der '98er CSD-Geschichte.

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