Stille Tage mit Berti: Zizous Glühen
■ Der Maler und der Schaffner lieben Zidane – nur ein Herr schätzt gar Oliver Bierhoff
Zizou, sagte er. Mein Zizou. Der beste Mann – ist Zinedine Zidane. Reimt sich sogar. Jetzt kommt er zurück: Attention, genie!
Er war in Nizza in den TGV gestiegen. Hatte grade an der Côte eine Ausstellung eröffnet. Fotografische Bilder nannte er das. Lebte in Paris und in Krakau, wo er eine Freundin hatte. Künstlerin. Das sagte er jedenfalls. Zidane sei der Inbegriff des Spiels. Technik – mit der er jede Aktion in ein Kunstwerk verwandle. Anmut – mit der er über den Platz tanze. Liebe – die er dem Ball zuteil werden lasse, wann immer er ihn berühre. Ein Künstler halt.
„Haben Sie Zidane spielen sehen?“ Er war ja dauernd gesperrt. Aber als er spielte: „War er da nicht beeindruckend?“ Schon. Der Maler bemerkte die Zurückhaltung. Was paßte diesem Herrn nicht? Zizous Platzverweis gegen Saudi-Arabien?
Als er mit dem Satz konfrontiert wurde, es ginge im Spiel bloß darum, das Optimum aus der tagtäglichen Arbeit herauszuholen, fing der Maler an zu murren. Als er sich mit dem Satz attackiert fühlte, Fußball sei jenseits allen Personenkults keine Frage der Aufstellung, sondern der Einstellung, rief er den Schaffner zu Hilfe.
„Dieser Herr“, sagte er, „will den Fußball vergewaltigen und entehren.“ Der Herr wehrte sich mit dem Hinweis, er habe bloß sich erlaubt zu zitieren, zunächst den Fußballprofi Klinsmann, dann dessen Trainer Vogts.
„Wougts“, wiederholte da der Schaffner abfällig und blickte den Maler an. Der Maler sagte: „Menotti.“ Der Herr winkte gelangweilt ab.
Der Argentinier habe ganz klar postuliert, sagte nun der Schaffner, daß die Spieler die Leidenschaft des Publikums zu bedienen hätten. Nicht Ronaldo tue das, nicht Shearer, nicht einmal Bergkamp und schon gar nicht Bierhoff – dafür Spieler wie der Marokkaner Hadji, als er in Montpellier mit seinem Tor gegen Norwegen ein perfektes Kunstwerk geschaffen habe. Hadji ist abgereist, sagte der Mann. Der Maler seufzte.
Zuallererst bediene Zidane seine Leidenschaft, und wie er das tue, sagte der Maler. Zidane sei der Grund, warum gespielt werde. Nicht er sei, wo der Ball sei – der Ball müsse immer dorthin, wo Zidane sei.
Und Deschamps, Desailly, Blanc? Bedienten diese funktionalen Arbeiter auch die Leidenschaft von Malern und Schaffnern? Sie waren einsam und verloren gegen Paraguay, sagte der Maler. Nun hat ihr Leben wieder einen Sinn. Nun spielen sie den Ball wieder zu Zidane. Mit Zidane beginne und ende alles.
Auch der Hinweis, daß der französische Trainer Jacquet noch funktionaler sei als Herr Vogts, konnte den Schaffner nun nicht mehr bremsen. Zidane sei größer als Jacquets Taktik, Zidane erhebe sich und das Spiel, den Ball am Fuß, bis alle drei über grotesken Vorgaben wie defensive Disziplin schwebten. Nach diesem Satz atmete er begeistert aus.
Das nutzte der Herr, um eine komplizierte Zahl in den Waggon zu legen, die mit den Ziffern 0,6 begann.
Was das sei, fragte der Maler. Der Herr sagte mit teuflischem Grinsen, es handele sich um die einzige Wahrheit, den Torquotienten von Oliver Bierhoff. Eine Ballannahme von Zidane, entgegnete der Maler entsetzt, werde immer mehr wert sein als zehn Tore von Bierhoff.
Wer ist denn dreimal Weltmeister geworden, zischte der Mann nun gehässig. Und wer schafft es nie? Schon hob der Schaffner die Fahrkartenzwicke. Tempo hochhalten, schrie der Herr, Zweikämpfe gewinnen, Schneid abkaufen, vor allem Schneid abkaufen.
Der Maler aber sprach versonnen von den Glühwürmchen und wie die glücklich über dem Stade Velodrome von Marseille geblinkt hätten, nachdem sie Zidane erleben durften. Er gedenke ein Bild zu malen, und es „Zizous Glühen“ zu nennen. Der Schaffner zwickte versöhnt in die Fahrscheine. Der Herr aber war verschwunden. Jetzt lächelte der Maler. Peter Unfried
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen