: Der Zauderer Netanjahu verärgert Weizman
Israels Präsident kritisiert die Blockade des Friedensprozesses und schlägt vorgezogene Neuwahlen vor ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Der israelische Präsident Eser Weizman hat gestern überraschend vorgezogene Neuwahlen gefordert. Weizman kritisierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in scharfen Worten für die anhaltende Blockade des Friedensprozesses. Wörtlich erklärte Weizman: „Der Friedensprozeß hinkt. Ich will dazu eines sagen: Er sollte frühe Neuwahlen einleiten, damit wir wissen, was die Öffentlichkeit denkt.“
Nach Angaben von langjährigen Beobachtern ist dies das erste Mal, daß ein israelischer Präsident die Regierung derart vehement kritisiert. Regierungsvertreter verurteilten Weizmans Worte sofort. „Der Präsident verhält sich wie der politische Partner der Opposition“, sagte Gesundheitsminister Jehuda Matza. Der Sprecher des Präsidenten, Arieh Schumer, rechtfertigte den Aufruf Weizmans. „Er gibt die Gefühle des Volkes wieder“, sagte er dem israelischen Rundfunk. Laut einer Umfrage, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, sprechen sich zwei Drittel der Israelis für einen zweiten Teilrückzug aus dem Westjordanland von 13 Prozent aus. Netanjahu aber zögert, weil die religiöse Rechte und die Siedler damit gedroht haben, seine Regierung zu Fall zu bringen, sollte er auch nur einen Quadratzentimeter Land aufgeben.
In dieser mißlichen Lage ist Netanjahu offensichtlich darauf verfallen, nach allen Seiten hin die unterschiedlichsten Versprechungen zu geben, um Zeit zu gewinnen. Die aktuelle Verstimmung zwischen Weizman und Netanjahu könnte darin ihren Grund haben. Vor vierzehn Tagen soll Netanjahu Weizman bei einem Frühstück zugesichert haben, daß der zweite Teilrückzug perfekte Sache sei. Weizman hat den Berichten zufolge daraufhin die Arbeitspartei gebeten, Netanjahu bei einer Abstimmung in der Knesset zu unterstützen. Aus Verärgerung über Netanjahus Bluff sagte Weizman in der vergangenen Woche seine Teilnahme an einer Wirtschaftskonferenz ab. „Was mich am meisten verletzt und ärgert“, sagte Weizman, „ist die Tatsache, daß sie dem Friedensprozeß jede Freude genommen haben.“
Die jüngste Meldung aus dem Netanjahu-Lager lautet, daß ein Abkommen über den nächsten Rückzug aus dem Westjordanland am 29. Juli abgeschlossen sein werde. Dann geht die Knesset in die Sommerpause. Während dieser Zeit werden traditionell keine Mißtrauensvoten gegen die Regierung gestellt. „Allerdings“, so schränkte Netanjahu im israelischen Radio ein, „ist dies nicht sicher.“ Der Grund: „Ich kann den Palästinensern ja nicht sagen, was sie tun sollen.“
Vorgestern noch hatte Netanjahu während des Besuchs des spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar eine neue Internationale Friedenskonferenz in Madrid verlangt, in Anknüpfung an die Auftaktkonferenz im Jahre 1991. Natürlich sollten dann regionale Aspekte im Vordergrund stehen, also wirtschaftliche Kooperation oder Wasserfragen, aber nicht der nächste Teilrückzug.
So ganz beiläufig zielte der neue Vorschlag auch darauf ab, die Idee einer Volksabstimmung über den nächsten Teilrückzug zu beerdigen. Als der Gedanke vor drei Wochen aufkam, gab sich Netanjahu reserviert bis ablehnend. Dann änderte er plötzlich seine Meinung und beauftragte ein ministerielles Komitee damit, die rechtlichen und praktischen Fragen zu klären. Dieses Komitee schlug vor, eine Art Ted-Umfrage durchzuführen und jedem Wahlberechtigten eine Magnetkarte zukommen zu lassen. Vorab erforderlich aber wäre ein Gesetz, das Volksabstimmungen zuläßt. Als in der vergangenen Woche klar wurde, daß Netanjahu dafür selbst im eigenen Lager keine Mehrheit finden würde, strich er die Volksabstimmung wieder aus seinen Optionen.
So verging der Juni. Und die israelischen Kommentatoren erklären nun den Juli zum „Monat der Entscheidung“. Jeden zweiten Tag sagt Netanjahu, daß die Differenz zwischen israelischen und palästinensischen Forderungen geringer geworden sei. Doch immer bleibt noch „ein kleiner Graben“. Und mit Blick auf die Neubildung der palästinensischen Regierung und die Rückkehr von Hamas-Führer Scheich Ahmed Yassin nach Gaza sagt Netanjahu, Arafat müsse sich entscheiden, ob er Frieden mit Hamas oder Frieden mit Israel wolle. Er selbst rate Arafat zu letzterem. Dies hat Netanjahu schon vor einem Jahr gesagt. Und vermutlich wird er es auch im nächsten Jahr noch sagen.
Die Palästinenser sehen natürlich wenig Sinn darin, auf jede Pirouette Netanjahus zu reagieren. „Wenn Netanjahu eine Übereinkunft will, kann er sie heute haben“, sagt Verhandlungsführer Saeb Erekat. „Er braucht nur dem amerikanischen Vorschlag über den nächsten Teilrückzug zuzustimmen.“ Wenn Netanjahu einen Beinamen verdient, dann ist es der des römischen Feldherrn Quintius Fabius Maximus, Cunctator, der Zauderer. Vielleicht wird dieses Zögern auch ihm noch einmal zum Verhängnis, ob es nun vorgezogene Neuwahlen gibt oder nicht.
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