: Elfjähriger nach 26 Stunden geborgen
■ In der Türkei gingen die Bergungsarbeiten nach spektakulären Rettungsaktionen weiter. Kritik an den türkischen Behörden
Istanbul (AFP/taz) – In den verwüsteten südtürkischen Städten Adana und Ceyhan haben Bergungsmannschaften gestern weiter nach Überlebenden des schweren Erdbebens vom Samstag gesucht. Solange es Hoffnung gebe, gehe die Arbeit weiter, sagte der Gouverneur von Adana, Ogus Kagan Köksal, im Fernsehen. Bestärkt wurden die Helfer durch die spektakuläre Rettung mehrerer Kinder: In Ceyhan wurde der elfjährige Sercan Güvercin noch 26 Stunden nach dem schweren Erdstoß am Sonntag nachmittag lebend in den Trümmern eines Hauses in Adana gefunden. Wenige Stunden zuvor hatten Retter in Adana einen Zehnjährigen unter Betonplatten entdeckt und in Ceyhan einen Säugling unversehrt aus der Ruine eines fünfstöckigen Wohnhauses gezogen. Nach jüngsten Angaben der Behörden starben bei dem Erdbeben 116 Menschen, mehr als 1.500 wurden verletzt. Deutsche Hilfswerke kündigten Hilfsprogramme für die Opfer an.
Die türkische Presse feierte am Montag die Rettung der Kinder als „Wunder“. Die Bergungsmannschaften applaudierten spontan, als der elfjährige Sercan aus dem zerstörten Haus in Ceyhan gehoben wurde. Der Junge aus dem nahen Iskenderun hatte zur Zeit des Bebens in Ceyhan zusammen mit seiner Familie die Großmutter besucht, wie seine Tante der Zeitung Milliyet berichtete. Beide Großeltern, die Mutter und die Brüder Sercans wurden noch in den Trümmern des Hauses vermißt. Der zehnjährige Serenay Bakiner wurde in Adana unter schweren Betonplatten eines eingestürzten Hauses entdeckt und gerettet; sechs Verwandte und Nachbarn starben in demselben Haus. Auch die Mutter des in Ceyhan gefundenen dreimonatigen Emircan kam bei dem Beben ums Leben.
Das rund 20 Sekunden lange Beben der Stärke 6,3 auf der Richterskala hatte ganze Mietskasernen in Adana und Ceyhan in sich zusammensacken lassen; auch eine Moschee wurde zerstört. Viele andere Häuser stehen zwar noch, sind aber unbewohnbar. „In den Straßen von Ceyhan sieht es aus wie in Bosnien“, beschrieb die Zeitung Hürriyet die Lage. In Adana entgingen vier Familien dem Tod, weil sie gerade einen Picknickausflug unternahmen, als ihr Wohnhaus einstürzte. Die türkischen Behörden schafften rund 4.000 Zelte und 8.000 Decken ins Katastrophengebiet, um die Obdachlosen notdürftig unterbringen zu können. Banken und Unternehmer in der Türkei spendeten Millionensummen für die Erdbebenopfer.
Die türkischen Medien machten sich unterdessen auf die Suche nach den Verantwortlichen dafür, daß die Opfer so zahlreich, die Schäden so gewaltig waren. Denn daß Anatolien ein Erdbebengebiet ist, ist bekannt. Entsprechende Bauvorschriften gelten seit Jahren, werden aber selten eingehalten. Die Türkei, schrieb Hürriyet, gleiche in dieser Beziehung einer Bananenrepublik. „Faßt die Mörder!“ titelte die Zeitung Yeni Safak.
Das Zentrum des Bebens fällt zudem in das Gebiet, wo das erste türkische Atomkraftwerk in Akkuyu gebaut werden soll. Atomkraftgegner hatten mit Verweis auf Forschungsberichte türkischer Universitäten immer wieder auf die Erdbebengefährdung des Gebietes hingewiesen und vor dem Bau gewarnt. Die Befürworter hatten die Gefahr stets bestritten.
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