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Nicht Fellini, sondern Fellatio

Das Niveau der Erstlings- und zweiten Filme im offiziellen Wettbewerb der 15. Französischen Filmtage in Tübingen war erfreulich hoch. Vielleicht vermochte sich deshalb niemand so recht für den neugeschaffenen „Preis für den französischsten Film“ zu erwärmen  ■ Von Oliver Fuchs

Ein Filmfestival in der Bücherstadt Tübingen, wo jedes Graffito mindestens ein Aphorismus ist. Logisch, daß der literarischste Film gewinnt. Doch während man Olivier Perays „Petits désordres amoureux“ sieht, hört man schon das Drehbuchpapier rascheln. Es wird geschliffen geredet und kultiviert geliebt. Aber am Ende fragt man sich: Eine Geschichte erzählen – kann das ein Buch nicht besser?

Gleich in der ersten Szene dieses Films sieht man einen Pariser Boulevard mit Menschen, die auf Korbstühlen Kaffee trinken. Man sieht, wie der Sommerwind den geblümten Minirock einer jungen hübschen Frau leicht hochlupft. Natürlich fühlt man sich sofort in allen Vorurteilen dem französischen Kino gegenüber bestätigt.

Da paßte es gut, daß bei den 15. Französischen Filmtagen erstmals auch ein „Preis für den französischsten Film“ verliehen wurde. Jeder Besucher durfte bei der Wahl mitmachen, mußte aber auf dem Antwortkärtchen seine Entscheidung auch begründen. Ein paar Kriterien waren als Gedankenstütze schon vorgedruckt: „Leiden immer nur die Frauen in der Liebe? Gibt es ein altes Haus auf dem Land mit Kieseinfahrt?“

Dieser im Grunde gutgemeinte Versuch, Klischees zu ironisieren, ging gründlich schief. Als Peray, Regisseur von „Petits désordres“, bei einer Podiumsdiskussion vom Moderator einige Male penetrant auf die Französischheit seines Films angesprochen wurde, schwieg der freundliche Brillenträger. Dann antwortete er ausweichend. Schließlich erboste er sich lautstark. „Ihre Frage ärgert mich ungemein“, übersetzte die Dolmetscherin diplomatisch. Peray sagte weiter, daß ihn diese Fixierung auf nationale Stereotypen stark an den kulturpolitischen Diskurs der Rechten in Frankreich erinnert. Für einen Moment schien das gesamte Festival begossen dazustehen. Schließlich war es einst von Rotwein- und Romanistikstudenten im Geist der Völkerfreundschaft ersonnen worden. Niemand wollte sich mehr für die Trophäe begeistern.

Tübingen als Festivalstadt ist skurril. Wer hier mitten im Film rausgeht, um eine Rauchpause einzulegen, wird vom Vorführer persönlich angeschnauzt. Doch es gibt auch schöne Momente. So zum Beispiel als Fahrgast im „Filmtage- Shuttle“, das die Gäste zwischen Abspiel- und Gaststätten hin- und herkutschiert. Das Auto schaukelt einen wie eine weiche, nette Droge. Zwischen Kino und Leben kann man dann nur schwer unterscheiden. „Komm her und schmeck mein Tiramisu, du Monster!“ Wer hat das schnell noch mal gesagt? Anita Ekberg oder meine Freundin? Das Comeback der ersteren als laszive italienische Gräfin in dem Erstlingsfilm „Le nain rouge“ war einfach nur zum Staunen. „Ich habe bei ihr angerufen und ihr gesagt, daß sie eine Verführerin spielen soll. Das hat ihr geschmeichelt“, erklärte Yvain le Moine seinen Casting-Coup.

Der Herr ist Punk. Dafür spricht auch, daß er „zirka 39 Jahre“ alt ist. Le Moin ist ein Autorenfilmer neuerer, demokratischer Schule. Sein Film folgt einer Vision, einem Blick, einem geschlossenen ästhetischen Programm. Er hat ihn selbst geschrieben, produziert und das Beiheft selbst layoutet. Weil ihm Namen nichts bedeuten, hat er seinen eigenen bei den Credits nonchalant weggelassen. So bringt er es fertig, eine geläuterte und (vor allem um ihre Eitelkeiten) entschlackte Version des Autorenkinos zu präsentieren. In einer Szene kullert seinen kleinwüchsigen Helden eine wimperntuschegetränkte Träne diagonal über die Backe. Die Szene wäre unerträglich prätentiös, würde er nicht in der nächsten Szene seinem Chef lustvoll auf den Schreibtisch kacken. Unvorstellbar bei Wenders. An einer Postmodernisierung des Autorenfilms versucht sich Olivier Dahan in „Déjà mort“ – glücklos. Dahan verlagert den Blick immer weiter weg von der eigentlichen Handlung – und landet im Unverbindlich-Ungefähren. Am Ende bleibt von seiner Jeunesse-dorée- an-der-Côte-d'Azur-Geschichte nur ein guter Dialogsatz. Die hübsche Teenagerin Laure will Schauspielerin werden und wird an ihrem ersten Drehtag zwar nicht mit Fellini, aber immerhin mit Fellatio konfrontiert. „Ja, ich weiß auch nicht, was ich dir raten soll“, sagt der Regisseur mitfühlend, „sei einfach du selbst.“

Das Niveau, vor allem im offiziellen Wettbewerb, wo nur Erstlings- und zweite Filme laufen, war erfreulich hoch. Fast jedem Beitrag war anzusehen, daß hier jemand eine Struktur, einen Tonfall, eine Haltung gefunden hat, mit der sich weiterarbeiten läßt. Allein unter 150 Erstlingswerken aus Frankreich können die Filmtage jedes Jahr auswählen – in keinem anderen Land in Europa ist mehr Geld für junge Filmer da.

Was das übrige Programm betrifft, läßt sich – vorsichtig formuliert – eine Tendenz zur Repolitisierung ausmachen. Man muß nicht gleich so weit gehen wie Betrand Tavernier, der in „De l'autre côté du périph'“ im Problemstadtviertel Sozialarbeit mit der Videokamera leistet. Ein sympathischer, kleiner linker Film ist „Vive la république!“ über eine Gruppe von Arbeitslosen, die – Schlingensief läßt grüßen! – eine Partei gründen. Doch anders als der deutsche Trash-Meister muß Regisseur Eric Rochant keine wüst dilettierenden Orgien zeigen. Brav erzählt er mit den Mitteln des Mainstreams und kehrt diese frech gegen den Mainstream. Egalité, toujours.

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