„Wir können uns noch nicht zurücklehnen“

■ Die Vorsitzende der Journalistenvereinigung von Hongkong, Carol Lai, über die Pressefreiheit in der früheren britischen Kronkolonie ein Jahr nach der Rückgabe an die Volksrepublik China

taz: Massive Beschränkungen der Medien sind in Hongkong bisher ausgeblieben. Gibt es schleichende Veränderungen?

Carol Lai: Oberflächlich betrachtet ist die Situation unverändert. Die neue Regierung verhält sich aber wie eine alte Kolonialregierung und ist zu den Medien nicht so offen wie ihre Vorgängerin. Regierungschef Tung Chee- Hwa hat angekündigt, entsprechend der neuen Verfassung ein Sicherheitsgesetz verabschieden zu lassen, das das Fördern von Sezession, Aufwiegelung, Subversion sowie den Verrat von Staatsgeheimnissen unter Strafe stellt. Das bedroht die Presse.

Beunruhigend ist auch der Fall des Fernsehsenders ATV, an dem Geschäftsleute mit Verbindungen zu Peking entscheidende Anteile erworben haben. Es gab auch Versuche, Medien wie den öffentlich- rechtlichen Sender RTHK einzuschüchtern. Ein pekingnaher Politiker forderte, RTHK solle künftig die Meinung der Regierung vertreten. Dies forderte er nicht in Hongkong, sondern von Peking aus. Das war eine Einladung an Chinas Regierung, in Hongkongs Rundfunk einzugreifen. Positiv ist, daß die Bevölkerung sofort dagegen protestiert hat. Hongkongs Regierung wartet jetzt erst mal ab.

Die Zukunft der Pressefreiheit in Hongkong wurde bis vor einem Jahr meist in dunklen Farben dargestellt. War das übertrieben?

Momentan scheint die Situation in Ordnung zu sein, aber es gab doch viele Veränderungen – unterschwellige und offensichtliche. Wir können uns noch nicht beruhigt zürücklehnen. Insbesondere Hongkongs Regierung sollte sich mehr für eine tolerantere Haltung in Peking gegenüber Hongkongs Medien einsetzen. Wenn wir unsere Freiheit nicht schützen können, wie sollen wir jemals hoffen können, daß sich die Lage in China verbessert? Hongkong ist nicht nur ein Informationszentrum für die Welt, sondern auch für China.

Schon vor Hongkongs Rückgabe an China gab es Fälle von Selbstzensur. Haben diese mittlerweile zugenommen?

Ja. Viele Redakteure sind besorgt, weil für uns jetzt die sogenannte nationale Sicherheit Chinas relevant ist. Es hat Fälle gegeben, daß Beiträge über Tibet, Xinjiang oder Taiwan von den Verantwortlichen zurückgehalten wurden. So wurde ein Dokumentarfilm über Xinjiang, wo es je nach Standpunkt eine Separatisten- oder Unabhängigkeitsbewegung gibt, vom Hongkonger Sender CTN nicht ausgestrahlt. Als der Film kürzlich mit einem Menschenrechts-Medienpreis ausgezeichnet wurde, gab der Sender bekannt, daß der Film nach einer Überarbeitung doch noch gezeigt werden soll.

Haben sich die Rolle prochinesischer Zeitungen in Hongkong und der Einfluß Hongkonger Medien auf Südchina gewandelt?

Die historische Mission der pro- chinesischen Zeitungen in Hongkong ist beendet. Bereits sechs Wochen nach der Rückgabe machte die pekingnahe New Evening Post pleite. Die Rolle prochinesischer Zeitungen ist geringer geworden, weil viele Hongkonger Medien jetzt ihre Rolle mit übernehmen. Heute haben wir ein engeres politisches Medienspektrum als vor fünf Jahren. Damals gab es noch Zeitungen, die sagten, sie seien für Taiwan oder gegen China. Das macht heute niemand mehr. Positiv ist der Trend in der Nachbarprovinz Guangdong. Dort sind die Medien lebhafter und unabhängiger geworden.

Beeinflussen kommerzielle Interessen der Verleger die Pressefreiheit in Hongkong?

Neben Fällen der Selbstzensur gibt es auch Beispiele, daß Zeitungen aus wirtschaftlichen Gründen unbedingt die Interessen der Leser berücksichtigen müssen. Ein Beispiel war die diesjährige Kundgebung zur Erinnerung an das Tiananmen-Massaker 1989. Früher hätten die Zeitungen darüber auf den Innenseiten berichtet. Das haben sie sich dieses Jahr nicht getraut aus Angst, daß dann Leser zu anderen Blättern wechseln. Interview: Sven Hansen