piwik no script img

Milde für Gewalt gegen Afrikaner

Vier von fünf Angeklagten im Prozeß wegen rassistischer Auseinandersetzung in Regionalzug freigesprochen. Enrico M. zu Jugendarresten verurteilt  ■ Aus Potsdam Heike Spannagel

Im Prozeß um den Überfall auf den ghanaischen Asylbewerber Martin Agyare sind gestern vier der Angeklagten freigesprochen worden. Einzig der 18jährige Enrico M. erhielt wegen Körperverletzung und Beleidigung zwei Jugendarreste. Die Anklage hatte eine sechsmonatige Jugendstrafe mit Bewährung für M. gefordert. Die anderen Angeklagten sollten mit einer Verwarnung, teils mit Geldbuße davonkommen.

Der Ghanaer Agyare war innerhalb von drei Jahren zweimal Opfer rechtsradikaler Gewalt geworden. Bereits am 17. September 1994 hatten ihn Skinheads bei Berlin aus einer fahrenden S-Bahn geworfen. Dabei verletzte sich der Afrikaner so schwer, daß ihm ein Unterschenkel amputiert werden mußte. Die Täter konnten bis heute nicht ermittelt werden.

Als Agyare im vergangenen November erneut von Skinheads angegriffen wurde, befand er sich wieder in einem Zug. Unterwegs von Berlin-Wannsee nach Belzig, war er auf fünf Hertha-Fans getroffen, die gerade von einem Spiel zurückkehrten. Eine „ausgelassene Stimmung“ habe im Abteil geherrscht, sagte Richterin Grützmann gestern. Der Angeklagte Enrico M. habe Martin Agyare mit den Worten „Bimbo, gib mir eine Zigarette!“ angesprochen. Danach habe er Lieder angestimmt, in denen von „Negern raus!“ und „Deutschland den Deutschen“ die Rede war. Die anderen vier Angeklagten hätten mit eingestimmt. Dann habe Enrico M. Agyare bespuckt. Der Afrikaner zog daraufhin eine Gaspistole, was wiederum Enrico M. dazu veranlaßte, ihm einen Faustschlag ins Gesicht zu verpassen. Schließlich habe Agyare geschossen und seinen Angreifer im Gesicht verletzt – Notwehr, wie sich bei den polizeilichen Ermittlungen herausstellte.

Gelassen nahmen die fünf Angeklagten gestern das Urteil entgegen. Strafmildernd wirkte sich für Enrico M. der Umstand aus, daß er nicht vorbestraft war. Die Richterin verurteilte ihn zu zwei Jugendarresten von je einem Wochenende und 40 Stunden Sozialarbeit.

Martin Agyare war 1992 nach Deutschland gekommen, nach dem Überfall vor drei Jahren erhielt er aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbefugnis. Seither lebt er bei einer Gastfamilie in Belzig bei Potsdam.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen