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Alles echt Kreuzberg

■ Die Ausstellung "Jetzt lächeln" erzählt ab heute die Geschichte des "Problembezirks" mit Porträtfotos aus dem Atelier Mathesie nach

In Steglitz wäre „Jetzt lächeln“ gescheitert. Dort hätte man eine Ausstellung, die die Spuren des Alltagslebens anhand alter Porträtfotografien sichern will, unverzüglich als spießbürgerliche Idyllbildung kritisiert. Und in Wilmersdorf denkt man bei Volksfotos sowieso eher an schmuddelige Knipserbilder von verwackeltem Sex auf dem Sofa.

Kreuzberg ist dagegen ganz anders: Der Bezirk gilt als Bastion fürs Authentische, als Ort, an dem die Menschen kein falsches Leben leben, sondern stets aus Überzeugung wohnen. Und mitten im Kiez, an der Adalbertstraße Ecke Oranienstraße, war bis vor fünf Jahren noch das traditionsreiche „Atelier Mathesie“ angesiedelt, das die inzwischen 83jährige Charlotte Mathesie nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet hatte. Das Foto als Garant echter Gefühle: Hier ließen sich nach 1945 Familien für den abwesenden Vater in der Kriegsgefangenschaft fotografieren, später dann Wirtschaftswunderkinder an ihrem ersten Schultag; in den siebziger Jahren tauchten alsdann verstärkt stolze türkische Geschäftsmänner auf und verdrängten die mittlerweile wunderlich gewordenen Kriegerwitwen mit ihren Lieblings-Chihuahuas; zuletzt waren sogar der Kunstschrat Martin Kippenberger und die Tödliche Doris Kunden im Porträt-Atelier von Charlotte Mathesie.

Nun ist aber gerade die Atelierfotografie ein Medium, das dem idealen Lebensentwurf stilisierte Bilder folgen läßt, also selbst für den Alltag in hohem Maße auf die Inszenierung setzt. Schließlich geht man nur bei besonderen Anlässen zum Fotografen. Wie sollte da entstehen, was die Arbeitsgruppe der NGBK „eine Geschichte der Ästhetik des Psychosozialen“ nennt, die „im Spannungsfeld von Erwartungshaltungen der Kunden und dem Auftrag der Atelierfotografie entsteht: Private, meist unreflektierte Wünsche an ein persönliches Bild treffen auf ästhetische Vorstellungen und Konventionen des Fotografen.“ So steht es als Ziel der Recherche im Vorwort zum Katalog. Eine schwierige Aufgabe.

Daß die Feldforschung zwischen lauter Selbstdarstellern gelungen ist, liegt an dem ebenso behutsamen wie eigenständigen Konzept der Ausstellung. Statt auf ikonographische Übereinstimmungen zu setzen, wurde nach ähnlichen Merkmalen gesucht – von „Pose: stehen“ bis „Augen zu“. Als Grundlage dienten die über 300.000 Negative des Fotostudios, die Frau Mathesie dem Kreuzberg-Museum vermachte, als ihr Laden im August 1993 geschlossen wurde. Zunächst wußte das Museum mit dem Lebenswerk allerdings nicht viel anzufangen; das enorme Konvolut aus Karteikästen wurde in einem speisekammergroßen Raum verstaut und eingelagert.

Mühsam haben nun die vier, soll man sagen: KuratorInnen – Stéphane Bauer, Peter Funken, Katharina Hohmann und Helga Lieser – das gesamte Archivmaterial durchforstet, Negative sortiert, unter Oberbegriffen eingetütet und zum Teil sogar die Biographie hinter den Aufnahmen recherchiert. Wochenlang war man auf der Suche nach einer gewissen Person namens Kaso, die sich immer wieder im Atelier von Frau Mathesie ablichten ließ. Am Ende blieb sie unauffindbar.

Andere Fotos wiederum reichen bis in die vierziger Jahre zurück, und so fehlt schließlich bei 95 Prozent der Bilder die dazugehörige Geschichte.

Dafür finden sich im Katalog ziemlich lesenswerte Beiträge von werten Kollegen: Detlef Kuhlbrodt hat sich mit der Kreuzberger Hundeliebe beschäftigt, Helmut Höge über den Wandel der Symbole im „Problembezirk“ geschrieben, und Ulf Erdmann Ziegler untersucht in seinem Beitrag die Farbfotografie der siebziger Jahre als Popmodell. Zuletzt hat Stéphane Bauer einen Rundgang durch noch existierende Studios in anderen Bezirken gemacht, denn Atelierfotografie ist in Zeiten von Großlabors und Digitalkameras ein aussterbendes Genre.

Diesen Wandel merkt man auch bei der Präsentation. Um den Bruch mit dem Originalabzug und dessen Unwiederbringlichkeit in der Rekonstruktion zu verdeutlichen, wurden die Negative – im Gegensatz zum Paßfoto etwa – im Vollformat am Computer eingescannt und auf 3,20 langen Papierbahnen ausgedruckt. Auf über 100 dieser Streifen wurden in den Räumen von NGBK und Kunstamt Kreuzberg so unvergängliche Motive wie Hochzeitsfeiern, Kommunionen oder Taufen zusammengestellt. Dazu kommen noch 250 Hundeporträts, die in Hundehöhe den Weg zwischen den beiden Kunstvereinen säumen, und fünfzig Geschäfte, in deren Auslagen wiederum Fotos der früheren Schaufenster hängen. Mit diesen Bildern erinnert der Kiez sich noch einmal ans eigene Gestern, auch wenn und gerade weil das Hutgeschäft von einst längst der Szenekneipe oder dem Schnellimbiß gewichen ist.

Andererseits versucht „Jetzt lächeln“ gar nicht erst, übergreifende Sozialgeschichte zu betreiben, sondern schaut sich allein die Bilder an, die in Mathesies Studio entstanden. Daraus ergibt sich am Ende das Porträt der Porträtistin, eine Erzählung über ihren Werdegang, ein Einzelschicksal im ehemals florierenden Gewerbe der Fotostudios. Zumindest eine der beteiligten AusstellungsmacherInnen kann sich gut an die Arbeitsweise vor Ort erinnern: Katharina Hohmann hat 1990 ein Jahr bei Frau Mathesie in der Dunkelkammer gejobbt. Harald Fricke

„Jetzt lächeln – Atelierfotografie am Beispiel Mathesie“; bis 16.8., Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz 2; NGBK, Oranienstr. 25

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